Cartoon-Impro

Ich habe dieses Wochenende das zweite Mal einen Workshop von Lee White besucht, den ich genauso schon einmal vor zwei Jahren gemacht hatte. Peter aus meiner Gruppe hatte damals ausführlich darüber berichtet. Manch einer denkt jetzt vielleicht: „Häh? Zwei Mal den gleichen Workshop machen? Warum?“ Aber, was soll ich sagen – ich fand es sehr erhellend (abgesehen davon, dass es äußerst unterhaltsam war). Ich habe das ganze Thema noch einmal aus einem anderen Blickwinkel betrachten können. Das Storytelling- oder Konflikt-Schema, das Lee White unterrichtet, habe ich inzwischen mehrfach und in verschiedenen Spieler-Konstellationen versucht, umzusetzen. Das gibt einem noch einmal eine ganz andere Grundlage, auf der man den Workshop-Inhalt betrachten kann. Meine größte neue bzw. wiedererlangte Erkenntnis ist, wie „cartoonig“ das Lee-Whit’sche Storytelling-Schema doch in Wahrheit ist! Im Gegensatz zu Peter aus meiner Gruppe, der von dieser Form ja gerne als dem „existenzialistischen Drama der Crumbs“ spricht, empfinde ich diese Art der Szenengestaltung als extrem an die klassischen Looney Tunes Cartoons angelehnt: Jemand ärgert sich z.B., und anstatt ihn zu beruhigen, feuert man seinen Ärger nur noch mehr an, so dass er erst so richtig schön ausrastet (ähnlich Yosemite Sam). Oder jemand ist zwar eine Figur, mit der wir Zuschauer sympathisieren, aber eine total tolpatschige: Ich liebe es zu sehen, wie diese Figur noch mehr „gequält“ wird (Lee spricht ja hier gerne von „torturen“, was so viel bedeutet wie foltern oder quälen), indem ihr Counterpart vielleicht genau die eine Sache gut beherrscht, die sie nicht kann – aber total liebt.

Ein Beispiel: In einer Szene war die Vorgabe „angeln“. Der erste Spieler auf der Bühne entschied sich, eine glückliche Person zu spielen, er liebt das Angeln, aber er ist eine totale Niete darin, hat noch nicht einen einzigen Fisch gefangen (das allein schon sorgt bei mir für große Heiterkeit). Dann kommt eine zweite Figur dazu, die er dann als sein Vater definiert, und tortured ihn so richtig schön, was das für ein Piss-Tümpel sei, was für eine Kack-Angel, der Sohn sei eine Null und habe noch nie einen Fisch gefangen und überhaupt, er hat kein Mädchen und hatte wahrscheinlich auch noch nie eines weil er ja immerzu an diesem Piss-Tümpel hier hockt und keinen Fisch fängt. Der Vater-Charakter ist dementsprechend: Wütend, er hasst angeln – aber er ist natürlich total gut darin. Also nimmt er ein Mal die Angel an sich, wirft sie aus, und fängt innerhalb von keiner Minute den größten und schönsten Fisch, den man sich überhaupt vorstellen kann. Allein diese Szene ist derart großartig, dass ich mich weg schmeißen könnte! Die Person, die den Vater gespielt hat, hat diesen auch absolut hinreißend verkörpert, schön fies und den Sohn so richtig abfällig behandelnd. Und dann die Aktion mit dem Fisch: Als der Fisch gefangen ist, kriegt der Sohn es natürlich nicht gebacken, den Fisch zu erschlagen (stellt sich dabei noch ein bißchen doof an), und wirft ihn letztendlich wieder ins Wasser. Also ich finde das brüllend komisch und fühle mich unweigerlich an nahezu sämtliche Looney Tunes Cartoons erinnert, die ich als Kind gesehen habe.

Eine alternative Variante des „Torture-Games“ aus einer anderen Szene: Eine der Figuren auf der Bühne heult, aber anstatt, dass es existenziell ernst wird, ist die Situation brüllend komisch, weil die zweite Figur noch so richtig schön darauf herum hackt und den Traurigen nochmal und um so doller zum Heulen bringt. Der glückliche Hochstatus findet den depressiven Tiefstatus „so niedlich“, nimmt ihn also auch nicht richtig ernst mit seinem Leid, was es noch komischer macht. Überhaupt hat „der glückliche Hochstatus“, ein enorm großes Potential, den anderen so richtig schön zu quälen: Ähnlich von Foghorn Leghorn, der seine Cartoon-Partner regelmäßig mit seiner positiven, entspannten Attitüde zur Weißglut bringen kann (z.B. Yosemite Sam), treibt der glückliche Hochstatus seine Counter-Figur durch sein Selbst- und Weltvertrauen in den Wahnsinn – häufig, um am Ende zu scheitern, denn schließlich wollen wir normalerweise den Schwächeren, die Figur mit dem tieferen Status leiden und sich entwickeln sehen – denn mit dieser Figur können die meisten von uns sich einfach besser identifizieren. Der Unterschied zum Cartoon besteht hier für mich darin, dass beim Cartoon der Zynismus gewinnt, da dort häufig der unangenehme Hochstatus gewinnt, wie z.B. Pepé le Pew, der Roadrunner oder Tweetie. Schon immer ließ mich dies mit meinem „Ach menno!“-Gefühl zurück, das so weit ging, dass ich mir Roadrunner & Wile E. Coyote irgendwann nicht mehr ansehen konnte. Irgendwann soll der doch einfach diesen blöden Vogel mal fangen! Und schon fühle ich mich selber wieder ein bisschen wie Yosemite Sam.

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2 thoughts on “Cartoon-Impro

  • By Markus - Reply

    Die Angel-Szene ist wirklich sehr interessant, und ich musste bei der geistigen Vorstellung der Szene nun auch lachen! Sehr gut! 🙂

    Wenn der Tiefstatus aber irgendwann so tief ist (z. B. durch einen Tränenausbruch), dass er Mitleid erregt, kommt er dadurch nicht in den Hochstatus?

    • By Claudia - Reply

      Ich denke nicht. Der Habitus des Tiefstatus ist ja gerade „Schlag mich nicht, ich bin es nicht wert!“ während der Hochstatus eher mit „Schlag mich nicht, Du wirst es bereuen!“ an die Sache ran geht. In Tränen ausbrechen ist daher für mich eher ein Zeichen von „advanced“ Tiefstatus.

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