Wann ging das eigentlich verloren?

Eigentlich ist der Anlass dieses Posts meine Traurigkeit über einen Verlust. Und es ist auch ein kleiner Rant – ob gegen mich, oder gegen die Welt… Das ist mir noch nicht so ganz klar. Aber ich frage mich in letzter Zeit immer häufiger: Wann ging in meinem Impro-Leben eigentlich der Impro-Spirit so verloren? Ich fand Impro mal so toll, weil es ein sicheres Umfeld ist, in dem man sich nicht gegenseitig bewertet. In dem man keine Angst haben muss. In dem es keinen Konkurrenzkampf gibt, sondern nur ein Miteinander. In dem es nicht um persönliche Profilneurosen geht, sondern darum, etwas gemeinsam zu schaffen, in einer offenen Begegnung.

Jetzt, ca. fünf Jahre und viele Impro-Erfahrungen reicher, schaue ich auf die Impro-Szene und sehe viele dieser Dinge nicht mehr. Statt Kollaboration nehme ich Konkurrenz wahr (wer ist größer, lauter, schriller – wer schafft es, mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen). Statt der Suche nach der Verbindung sehe ich allerorten Ego-Gewichse und Profilneurosen.

Der „Geist des Impro“ stand für mich auch immer für die Freiheit von Dogmatismus. Und nun sehe ich so viele Impro-Leute und Veröffentlichungen, die so dogmatisch sind: „Wir spielen grundsätzlich keine Games.“ – „Ich spiele keine Prostituierten / Drogendealer / XY.“* – „Bei Auftritten trägt man auf gar keinen Fall diese und jene Kleidung.“** – um nur ein paar Beispiele zu nennen. Irgendwie macht mich das immer ein bisschen traurig, wenn ich sowas höre. Und oft genug auch wütend.

Und Bewertungen. Überall Bewertungen. „Der XY ist ein guter Spieler.“ „Die hat da und da geblockt.“ „Das war totaler Mist.“ Wann hat Impro für mich eigentlich aufgehört, dieses Ding zu sein, dass frei von dem ganzen Mist ist, mit dem wir im Rest der Welt ständig konfrontiert sind? Wann ist Impro für mich „zum Rest der Welt“ geworden? Ich weiß es nicht mehr genau, aber irgendwo ist dieser tolle, unbedarfte Spirit vom Impro, in den ich mich am Anfang so verliebt habe („Hey, da geht ja plötzlich was, wenn man einfach mal akzeptiert, anstatt blockiert!“) und diese Sicherheit, die durch die Freitheit von der Angst vor Bewertungen durch andere entsteht, verloren gegangen. Und Impro ist damit ein bißchen mehr genau der gleiche Affenzirkus und das gleiche Rat Race geworden, wie der Rest der Welt.

Ich weiß, dass Impro-Spieler auch „nur“ Menschen sind, und deshalb auch weiter von Eitelkeiten und Unsicherheiten geplagt werden. Und dass vielleicht gerade die Leute, die Impro machen und gut finden, es aus den gleichen Gründen gut finden, wie ich: Weil es eben eine angst- und bewertungs-freie Umgebung bieten kann. Weil es uns erlaubt, im Moment zu sein und in diesem uns wirklich zu begegnen, offen und ohne Vorurteil. Dass gerade die Menschen zum Impro finden, die sich nach derlei Dingen sehnen, spricht vermutlich für sich. Nur leider schüttelt man eben alte Muster nicht so einfach ab.

Daher ist mein Plädoyer: Hört nicht auf zu probieren, den Impro-Spirit in die „wirkliche Welt“ zu tragen! Ihr macht sie damit ein bisschen besser.

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* Anmerkung: Ich finde es durchaus in Ordnung, wenn jemand aufgrund persönlicher Erfahrungen bestimmte Dinge nicht spielen möchte; wenn z.B. eine Frau ihr Baby verloren hat, kann ich nachvollziehen, wenn sie keine derartige Szene spielen möchte; was ich hier meine ist das kategorische Ausschließen bestimmter Rollen weil man sie für „schlecht“ hält.

** Mir ist bewusst, dass diese Art absolutistuscher Aussagen möglicherweise nur eine augenzwinkernde Inkarnation des Prinzips „Behaupten“ ist, das beim Impro ja ebenfalls eine große Rolle spielt. Ich mag sie trotzdem nicht.

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One thought on “Wann ging das eigentlich verloren?

  • By Markus - Reply

    Hm… 5 Jahre sind natürlich eine relativ lange Zeit… dass man sich weiterentwickelt und andere Dinge sieht, die man vorher noch nicht gesehen hat, ist ja klar.

    Ich lasse mich mal überraschen, wie sich Impro bei mir so entwickelt, und wie lange ich Spaß daran habe.
    Aktuell versuche ich, fast alles mitzumachen.
    Manchmal ist das schon „beängstigend“, aber dann sage ich mir: „Mach‘ das doch einfach, es macht Dir doch Spaß!“ 🙂

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