Es gibt eine Frage, die mich seit Längerem umtreibt: Wie schafft man es (auf individueller, oder „individual-psychologischer“ Ebene), die im Impro erfahrenen und gelernten Lessons in den Alltag zu übernehmen und dort zu leben? Einen guten Impro-Lehrer macht m.E. aus, dass er in der Lage ist, eine angstfreie Umgebung zu schaffen, einen weitestgehend bewertungsfreien Raum, in dem sich die Teilnehmer eines Kurses oder Workshops sicher fühlen, so dass es ihnen leichter fällt, sich zu öffnen. Vielleicht muss ein guter Impro-Lehrer auch noch ein paar andere Dinge können, aber das ist m.E. seine oberste Kernkompetenz. Keith Johnstone soll am Anfang seiner Workshops immer gesagt haben: „I want this to be a safe space.“ („Ich möchte, dass dies ein sicherer Raum ist.“) Denn nur in so einem „safe space“ kann es Menschen gelingen, ihre Assoziationskanäle zu öffnen und mit den anderen Teilnehmern des Workshops in Kontakt zu treten*. Und genau das ist ja auch das Geheimnis von Impro, warum es so viel Spaß macht!
Nur: Wie gelingt es, diese im Impro-Workshop erfahrene und erlebte Lektion in den Alltag zu übernehmen? Und das ist jetzt keine rhetorische, sondern eine ernst gemeinte Frage. Im Alltag ist die Umgebung nicht „safe“, es ist kein angst- und bewertungsfreier Raum, in dem wir uns bewegen, und so sehr ich mir das vom Verstand her auch wünschen oder suggerieren möchte, das ist es nicht – jedenfalls nicht für mich. Meine Freunde und Bekannten attestieren mir seit jeher, dass ich eine besonders mutige Person sei. Ich selbst halte mich überhaupt nicht für mutig (und das ist jetzt keine Koketterie), im Gegenteil, ich habe vor allem erstmal Angst: Vorm Besuch bei den Schwiegereltern, in Neukölln mit dem Bus zu fahren (speziell mit dem M41! Oder hier gleich nochmal mit dem M41!), in neue Gruppen hinein zu kommen – vor all diesen Dingen habe ich Angst**, und mein Coach identifiziert seit Jahren „Sicherheit“ als mein großes Lebensthema (und damit verbunden, Kontrolle, bzw. der Wunsch danach – das sagt nicht er, das sage ich, denn ich erlebe es so). Ich überwinde diese Ängste seit Jahren, denn anders ist ein „normales“ Leben ja nicht möglich, vielleicht ist es auch eine Art Konfrontationstherapie***. Also ist doch Impro eigentlich genau das Richtige für mich, um den Kontrollverlust, die Abwesenheit von Sicherheit, in spielerischem Rahmen zu trainieren, oder? Das gelingt aber irgendwie nicht! In solchen Situationen wie den oben genannten gelingt es mir eben nicht, das Feeling aus den tausend Stunden Impro-Kursen, das ich schon tausend Mal gespürt habe, das sich so (angst-)frei anfühlt, mitzunehmen, die Schutz- und Sicherheitsbarrieren runterzufahren und in dem Moment ganz (angst-)frei einfach nur ich zu sein. Denn wie gesagt: Der Alltag, und das gilt insbesondere für die o.g. Situationen, ist leider kein angstfreier Raum und keine bewertungsfreie Umgebung. Vielleicht bin ich ja auch nur ein besonders hartnäckiger Fall, wer weiß.
Ich denke sehr wohl, bzw. bin ich fest davon überzeugt, dass das Lernen auf der Erfahrungsebene, wie wir es beim Impro erleben****, tiefer und „nachhaltiger“ ist, als es ein Lernen auf der rein kognitiven Ebene je sein kann (es gibt glaube ich auch Studien dazu, aber die liegen mir gerade nicht vor). Ich denke ebenfalls, dass Impro eine tolle Methode ist (die beste!), um als Team schnell und nachhaltig zusammen zu wachsen und Verbindungen auf emotionaler Ebene zu knüpfen, die kaum eine andere Methode zu erzielen in der Lage ist (eben weil wir erleben, wie wir uns begegnen, wenn wir keine Angst mehr voreinander haben – und dieses Gefühl aus einem Workshop oder Seminar mit in den Arbeitsalltag zu nehmen, bringt Teams nachhaltig zusammen). Aber wo ich skeptisch bin, ist eben, dieses Spontan-Sein, die Schlagfertigkeit und Kreativität auf der individuellen Ebene, die sich bei fast allen Menschen zeigt, wenn sie sich angstfrei und sicher fühlen. Wir Impro-Trainer werben mit diesen Lernzielen, und im Kurs fördern wir sie bei den Teilnehmern zu Tage und sehen sie bei ihnen. Aber wie kann es gelingen, genau diese Erfahrung, dieses Erleben, mit in den Alltag zu transferieren?
Angst hemmt Spontanität, Angst hemmt Schlagfertigkeit***** – wenn ich in einer Situation oder Umgebung bin, in der ich wenig Angst habe (z.B. in irgendeiner alltäglichen, halbwegs berechenbaren Standardsituation), ist es nicht weiter schwer, diese Leanings aus dem Impro-Workshop zu übertragen und anzuwenden (das btw. auch der Grund, weshalb viele Menschen in vertrauter Umgebung mit vertrauten Menschen wahre Unterhaltungskanonen sind). Das ist besser als nix! Aber wo ich mir diese Dinge eigentlich wünsche, ist ja in „kritischen“ Situationen, also in potentiell neuen, potentiell angstbesetzten Situationen. Und hier gelingt mir das in aller Regel nicht. Und hier erfordert es m.E. eine tiefergreifende, persönlichere Arbeit an und mit mir, um mir meine eigene, innere Angstfreiheit zu schaffen (die ich überall mit hin nehmen kann! Wäre das nicht toll?), und die nötige Gelassenheit an den Tag zu legen, auch dort spontan und schlagfertig zu agieren. Ein Impro-Kurs kann sicherlich dazu beitragen, das Problem jedoch alleine nicht lösen.
Es tut mir leid, dass ich keine positivere Botschaft diesbezüglich habe. Und auch auf die Gefahr hin, meine Zunft mit diesem Artikel zu diskreditieren und ihre ewige Missbilligung auf mich zu ziehen, möchte ich ihn veröffentlichen. Vielleicht ist es ja auch einfach etwas, das ich auf meinem Weg noch lernen werde und das allen anderen schon total super gelingt. Sollte dem so sein und ich für mich irgendwann eine Antwort auf die Frage des „Wie“ des Transfers gefunden haben, werde ich diese auf jeden Fall mit Euch teilen! Solltet Ihr jedoch bereits eine Antwort auf diese Frage gefunden haben (und ich meine wirklich eine Antwort, keine Therapie-Angebote), freue ich mich, wenn Ihr mir eine Mail schreibt oder einen Kommentar zu diesem Artikel hinterlasst!
* Siehe mein Artikel zum Thema „Assoziation“ von vor ein paar Wochen.
** Was verrät uns das über Claudias Freunde? mag der geneigte Leser sich jetzt fragen, aber das ist ein anderes Thema.
*** Meine Berliner Oma, eine Kriegswitwe, hat z.B. Zeit ihres Lebens (also, seit ich sie kannte), ihre Wohnung so gut wie nicht mehr alleine verlassen, weil sie solche Angst h hatte. Vielleicht vererben sich ja solch „nervöse Dispositionen“ ja doch.
**** Oder: Das Lernen auf der Erlebnisebene, wie wir es beim Impro erfahren.
***** Der liebe Ralf Schmitt bezeichnet das in seinem Talk als „Kaninchenfeeling“; allerdings möchte ich zur Verteidigung der süßen Nager – meine Lieblingstiere btw. – sagen, dass diese bzw. ihre Vorfahren immerhin die Asteroiden-Katastrophe überlebt haben, welche die Dinosaurier dahin gerafft hat. Also hat ihnen – und damit uns – ihr „Kaninchenfeeling“ auf jeden Fall diesen einen evolutionären Vorteil verschafft!
Hier eine etwas längere Antwort:
http://improgedanken.blogspot.de/2017/08/impro-im-alltag-eine-antwort-auf.html
Lieber Dan, danke für Deinen Kommentar bzw. Deine Antwort!
„Wenn es mir gelingt, nach und nach die verschiedenen Facetten des Lebens spielerisch aufzufassen, dann verliert das Scheitern seinen Schrecken. […] Auch das Leben ist eben nur das Leben. Wir können ihm nichts abverlangen, wir können aber spielen mit dem, was es für uns bereithält.“ -> das stimmt; und genau das ist es, was ich so wahnsinnig schwierig finde, und wo ich denke, dass es so schwer aus dem Impro-Leben mitzunehmen ist (die spielerische innere Haltung im Sinne von: Ach, was kostet die Welt…). Am Ende des Tages geht es darum, Schmerz nicht a priori zu vermeiden, sondern eine gute Art zu finden, ihn entweder auszuhalten oder damit umzugehen. Manche sprechen hier auch von „Resilienz“. Und genau das ist aber so wahnsinnig schwer! Und ich denke, das erfordert weit mehr Persönlichkeitsarbeit als nur die, ein paar Impro-Workshops zu besuchen, und dann quasi „automatisch“ diese Geisteshaltung aufs Leben übertragen zu können. Das ist ein fortlaufender Prozess, und auch der (erfolgreiche) Umgang mit dem Scheitern selbst scheitert immer wieder, und auch mit diesem Scheitern gilt es dann, umzugehen. Wie Du ja auch sagst: „Es ist nicht etwas, das man einmal gelernt hat und dann beherrscht.“