Ein Hoch auf das „Sowohl als auch“!

Ich hab im Moment eine kleine Aversion gegen “So ist das!“ oder „So macht man das richtig!“ Statements, weil sie implizieren, dass es genau einen Kardinalsweg „of doing things“ gibt. Dem ist m.E. nicht so, es gibt immer mehrere Wege, die nach Rom führen, und manchmal können sogar scheinbar gegensätzliche Paradigmen gleichzeitig gültig sein. Ein paar Beispiele aus dem Impro-Theater:

Abfragen von Vorgaben: Soll man die erste nehmen, die kommt, oder mehrere abfragen und sich dann für eine entscheiden? Ich sage: Beides!
Wie man es mit dem Abfragen von Vorgaben hält, ist m.E. schnuppe. Warum soll man gleich die erste Vorgabe nehmen, wenn sie einen nicht inspiriert? Auf der anderen Seite: Spielen wir wirklich noch Impro, wenn wir uns erst einen Vorgabenstrauß holen und dann diejenige heraus picken, die uns am besten gefällt? Ich sage: Ja! Natürlich ist das noch Impro. (Ralf Schmitt hat in einem Workshopa mal gesagt: „Das sind Impro-Spieler, die brauchen eigentlich überhaupt keine Vorgaben, die müssen auch so spielen können!“; in diesem Sinne sehe auch ich das Vorgaben-Einholen hauptsächlich als Mittel, um mit dem Publikum in Kontakt zu treten, zu kommunizieren – weniger als unabdingbaren Bestandteil des Impro-Theaters.) Warum immer die erstbeste Vorgabe à la „Rot – Geige – Hammer“ nehmen? Aber warum nicht? Im Endeffekt finde ich, sollte jeder dies so handhaben, wie er / sie sich damit am wohlsten fühlt! Und dies kann, bei wechselnder Moderation innerhalb einer Show z.B. auch gerne wechseln – der eine nimmt die erste Vorgabe, die er hört, der andere fragt erstmal ein paar Vorschläge ab, um sich dann die auszuwählen, die ihm am besten gefällt. Warum denn nicht!

Gibt es beim Impro-Theater sowas wie „Level“ (Anfänger, Mittelstufe, Fortgeschrittene), oder ist alles eins? Ich sage: Beides stimmt!
Es gibt in Berlin einen sehr bekannten Trainer und Improspieler (Deniz Döhler), der der Ansicht ist, beim Impro gäbe es keine Level. Als ich vor zwei Jahren bei Deniz einen Kurs besucht hab, habe ich mich über diese Haltung etwas geärgert, da ich mich in meinem Können / meinem „Lernwerdegang“ nicht anerkannt fühlte. Seit ich selbst unterrichte verstehe ich, was er meint, und gebe ihm in gewisser Hinsicht Recht: die Probleme, mit denen Spieler aus meinem Kurs „kämpfen“ sind im wesentlichen die gleichen, mit denen viele in meiner Impro-Gruppe kämpfen (meist der stete Versuch um Kontrolle des Geschehens); und gleichzeitig sehe ich, dass es eben doch verschiedene „Könner“-Levels gibt. Klar kann ein Anfänger-Kurs bestimmte Theatersport-Formate genauso gut und lustig aufführen, wie eine Profi-Truppe. Dennoch macht es m.E. auch Sinn, Spieler nach Levels zu unterscheiden, und zwar aus verschiedenen Gründen: 1. Ich denke, so wir mir wird es vielen Leuten gehen: sie fühlen sich einfach besser, wenn anerkannt wird, dass sie etwas schon länger machen, als andere, und damit impliziert wird, dass sie auf irgendeine Weise ein höheres Skill-Level haben; 2. über die Zeit entwickeln Spieler eine Routine oder „Bühnenhärte“, die Anfänger oft noch nicht so haben; diese Routine erlaubt es ihnen, in bestimmten Situationen souveräner und spontaner zu reagieren (was nichts mit dem grundsätzlichen Skill-Level zu tun hat); 3. Spieler, die länger Impro spielen, haben mehr „Tricks“ drauf, die sie gekonnt aus dem Ärmel schütteln können, sie wissen bereits, was funktioniert; 4. Spieler, die länger Impro spielen hatten länger Zeit, bestimmte Impro-Grundregeln „sacken“ zu lassen und wirklich zu verinnerlichen, wie z.B. „Let your partner shine“, oder auch, sich von Fehlern nicht gleich ins Boxhorn jagen zu lassen. Dennoch: Soweit ich das überblicken kann, kämpft auch die Mittelstufe, und wahrscheinlich sogar die „Fortgeschrittenen“ mit den gleichen Themen, wie jeder der anfängt, Impro zu spielen. Im Rahmen eines Kurssystems, wie es viele Gruppen anbieten, die Impro unterrichten, erschließt sich mir der Unterschied nicht wirklich, außer dass die höheren Level eben schon länger trainiert haben und man bestimmte Grundlagen nicht extra erklären muss. Nur den Spielern gibt es eben ein gutes Gefühl, wenn sie den Eindruck haben, eine Art Evolution zu durchlaufen und besser bzw. fortgeschrittener zu werden, und ich denke, das ist gut. Die wirklichen Unterschiede im Spieler-Niveau können m.E. jedoch nicht in einem Kurssystem erfasst werden, da sie schwer zu verifizieren sind (es handelt sich hier m.E. eher um eine Einstellungs- als um eine Könnens-Sache).

Albernheit vs. Ernsthaftigkeit: Soll die Maxime für’s Impro-Spielen eher Albernheit oder eher Ernsthaftigkeit sein? Ich sage: Beides!
Ein großer Reiz des Impro-Theaters besteht für mich in der Albernheit und kindlichen Verspieltheit (vgl. Podcast Nr. 3). Warum also sollte man diesen Vorzug zugunsten eines ernsthaften Spiels aufgeben? Anderseits: Wenn Proben nur noch ins Alberne, Herumblödelnde abdriften, dann fühle ich mich hinterher leer. Mir fehlt dann die Ernsthaftigkeit, die „Substanz“. Dennoch würde ich die Albernheit und Verspieltheit nicht zugunsten von Ernsthaftigkeit aufgeben wollen! Ich denke, man kann ernsthaft Impro spielen, und dabei trotzdem leicht, verspielt und albern sein. Die Ernsthaftigkeit ist hier auf einer anderen Ebene als die Albernheit: Wenn man das, was man tut (das Impro-Spielen) als solches ernst nimmt (nicht zu ernst!!), und als Ziel hat, wirklich etwas zu erzählen, etwas mitzuteilen – dann kann man in der Umsetzung dessen auch albern und verspielt sein. Umgekehrt ist es jedoch eine denkbar schlechte Kombination 🙂

Und, wie so häufig, kann das Ganze auch auf das Leben allgemein angewendet werden: Es gibt kein Schwarz-Weiß. Es gibt kein „Das ist richtig und das ist falsch.“ Es gibt kein „Wir sind so und Ihr seid alles, was wir nicht sind“. Es ist meistens ein „Sowohl als auch“. Wenn jemand Euch also versucht, so eine Dichotomie zu verkaufen, solltet Ihr skeptisch sein…

Flattr this!

4 thoughts on “Ein Hoch auf das „Sowohl als auch“!

  • By Dan - Reply

    Du hast Recht, es werden zu häufig Meinungen wie Regeln und Gesetze dargeboten.
    Aber als Improlehrer muss ich hinzufügen: Allzu oft werden Sätze des Lehrers auch als eiserne Regeln verstanden statt als Anregungen. Manche Schüler sind sogar verärgert, wenn man sie nicht mit einem klaren Regelwerk entlässt.
    Ich denke: Es gibt sehr oft Regeln, ob und wie etwas funktioniert, wie etwas vom Publikum wahrgenommen wird oder wie etwas wirkt. Das heißt aber nicht, dass man diese Wirkung auch erzielen wollen muss.
    Zum Beispiel wirkt ein Moderator, der in der Kommunikation mit dem Publikum die Augen immer nach oben wandern lässt und die Arme verschränkt hält, etwas unsicher und in seinem eigenen Kopf. Aber Unsicherheit kann auch sympathisch machen…
    Eine der Regeln aus meinem kleinen Heft lautet: Spielt die Show, die ihr selber sehen wollt. Das ist quasi ein Hohelied des Sowohl als auch. Wer TS liebt, soll’s spielen. Wer Avantgarde liebt, ebenfalls. Und wer meint, für Geld Shows spielen zu müssen, die ihm selber nicht gefallen, soll dem Mammon seine geliebte Tätigkeit opfern, sich aber hinterher nicht wundern, wenn das Improvisieren keinen Spaß mehr macht.

    • By Claudia - Reply

      Ich glaube, als jemand, der Impro neu lernt, geben Regeln einem einfach ein Gefühl von Sicherheit, darum sucht man regelrecht nach solchen absoluten Aussagen aus dem Munde des Lehrers. Ich erinnere mich, dass ich jahrelang Schwierigkeiten mit diesen immanenten Widersprüchen der “Regeln” untereinander hatte. Ich hatte mich immer nach verlässlichen Ja-Nein-Aussagen (Do’s & Don’ts) gesehnt (nicht nur im Impro, sondern im Leben generell), aber die gibt es eben manchmal nicht. Diese Ambivalenz (sich widersprechende Dinge können gleichzeitig gültig sein) ist für viele glaube ich nicht einfach auszuhalten, da wir in unserer Gesellschaft so ein komisches “Ja-Nein”-Paradigma haben. Ich schweife ab.
      Ich musste an einen Satz denken, den Thomas Jäkel in unserem Interview zu mir gesagt hatte: “Es gibt keine Regeln im Improvisationstheater, und ich erkläre Dir jetzt mal die zehn wichtigsten!”

  • Pingback: Muster - Claudia Hoppe

  • By Markus - Reply

    Als „Neuling“ bin ich wirklich sehr froh, dass es ein paar „Regeln“ gibt.
    Zwischenzeitlich habe ich Kurse bei zwei verschiedenen Personen gehabt.
    Der eine hat einen eine Szene durchspielen lassen, und hinterher lediglich die „gröbsten Fehler“ erklärt.
    Die andere hat meist sofort unterbrochen und einen Hinweis gegeben.

    Beide Vorgehensweisen sind okay, finde ich.
    Aber was nun „richtig“ ist, weiß ich auch nicht.

    Die Einstufung in Levels finde ich sinnvoll. Allerdings sind sich da ja die Workshop-Anbieter sehr uneinig.
    Meist gibt es 3 Levels, aber unterschiedliche Definitionen. Als Neuling bin ich dahingehend etwas verunsichert.
    Hier heißt es für Level 2, dass man schlicht „Vorerfahrungen“ haben muss, woanders heißt es bei Level 2 schon konkreter, dass man eine zweijährige Bühnenerfahrung haben sollte.
    Da ist es schwer, sich selbst richtig einzuordnen.
    Unter’m Strich kann man ja aber nur heiter scheitern… 😉

    Zu der Albernheit/Ernsthaftigkeit kann ich bisher nur sagen, dass wir als Kurs-Gruppe nur einmal so richtig rumgealbert hatten. Das musste einfach mal sein.
    Ansonsten habe ich bei jeder Impro-Kursstunde immer meinen Spaß gehabt, und immer gelacht.
    Wenn also die Ernsthaftigkeit mal Überhand nehmen sollte, dann läuft da doch etwas falsch, oder?

    Zu den Vorgaben kann ich nur von meinen Erfahrungen als Zuschauer von anderen Impro-Gruppen berichten.
    Da finde ich es besser, wenn der Moderator ein paar Vorschläge einholt.
    Denn oft sitzen Impro-Spieler von anderen Gruppen auch im Publikum, und diese sind erfahrungsgemäß schneller mit ihren Vorschlägen.
    Andere Zuschauer brauchen noch etwas mehr Zeit zum Überlegen.
    Mir ging es so, dass ich einen Vorschlag hatte, diesen aber nicht mehr kundtun konnte, da schon ein anderer Vorschlag genommen wurde. Ich fühlte mich unbeteiligt, obwohl meine Beteiligung ja gewünscht war.
    Ich denke, man sollte den Zuschauern schon einige Momente Zeit geben, sich mit der Thematik zu beschäftigen und eine Idee beizusteuern. Wenn der Moderator sich zu schnell entscheidet, gibt er den anderen Zuschauern das Gefühl, nicht spontan genug zu sein… 🙂

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *
You may use these HTML tags and attributes: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>