Der Tiefstatus ist der neue Hochstatus

Wenn man Impro-Anfänger fragt, ob sie sich im Tief- oder im Hochstatus wohler fühlen, nennen sie meist eine klare Präferenz für einen der beiden. Ich habe früher, konfrontiert mit dieser Frage, eine leichte Tendenz zum Tiefstatus bei mir bemerkt, und mich dafür innerlich immer gerügt, ja mitunter sogar zerfleischt. Bzw. habe ich es mir zum erbitterten Ziel gesetzt, dass sich für mich der Hochstatus irgendwann „natürlich“ anfühlen muss (GEFÄLLIGST!). Inzwischen selbst unterrichtend sehe ich jedoch, dass die Spieler, die von sich behaupten, sich intuitiv im Hochstatus wohler zu fühlen, es in meinen Augen häufig schwerer haben, weil es ihnen von Natur aus weniger leicht fällt, sich mit ihrer Aufmerksamkeit auf den anderen zu richten. Dies ist mit Sicherheit keine Faustregel, so dass man sagen kann „Jeder Spieler, der sich intuitiv dem Tiefstatus näher fühlt, ist ein besserer Impro-Spieler.“ – holy shit, definitely not!

Dennoch denke ich, dass „typische Tiefstatus-Spieler“ häufig eine Gabe mitbringen, die „typische Hochstatus-Spieler“ sich erst erarbeiten müssen: Die Aufmerksamkeit für andere und deren Befindlichkeiten! Wer im Leben dazu tendiert, sich selbst etwas „niedriger“ als die anderen zu fühlen, beobachtet diese meistens ausgiebig, um sich zurecht zu finden, und hat ein Händchen dafür, was diese brauchen. Und genau das ist meiner Meinung nach eine der Kern-Kompetenzen eines guten Impro-Spielers: Die Aufmerksamkeit für die Mitspieler und was diese gerade brauchen! Insofern sehe ich es inzwischen gar nicht mehr unbedingt als Defizit, wenn man bei sich bemerkt: „Oh, ich fühle mich eigentlich mit dem Tiefstatus vertrauter, als mit dem Hochstatus.“ Zumindest für’s Impro-Spielen kann dies eine große Gabe sein! Und dass dem so ist, heißt ja nicht, dass man nicht an sich arbeiten, sich nicht verändern soll. Natürlich ist es – im Sinne eines guten Spiels und auch der persönlichen Weiterentwicklung – wichtig, sich nicht nur auf einen Status in seinen Rollen festzulegen, sondern möglichst danach zu streben, auch den anderen Status gut und „wohlfühlend“ verkörpern zu können. Also, liebe Tiefstatus-Spieler: Wenn Ihr diese Gabe bei Euch bemerkt, ruht Euch nicht auf ihr aus, sondern strebt nach Höherem! Ansonsten kann es Euch möglicherweise so ergehen, wie dem einen Extrem des „schlechten Impro-Spielers“, den ich in meinem 1. Podcast beschrieben habe, dem zögerlichen Impro-Spieler.

Freut Euch trotzdem darüber, dass Ihr es in dieser Hinsicht möglicherweise leichter habt, als Eure Hochstatus-Kollegen, denn die müssen das „auf-andere-Achten-und-Eingehen“ erst erlernen – und ich kenne Beispiele einiger Impro-Spieler, denen das m.E. bis heute nicht gelungen ist, und die weniger mit anderen zusammen etwas erschaffen, als dass sie mehr ihre Solo-Nummer auf der Bühne fahren. Ich finde es wahnsinnig schwer, mit solchen Leuten zu spielen, und ich schaue ihnen auch nicht gerne zu, da sie sich auf der Bühne oft wie Rambo benehmen.

Nachtrag 27.09.2013
Während meines Besuchs in London beim iO European Summer Intensive diesen Monat habe ich mich mit einem der Teilnehmer ausgiebig über das Thema „Status“ unterhalten, und aus diesen Gesprächen sehr viele Erkenntnisse gezogen: Es geht überhaupt nicht darum, dass einer der beiden Stati besser oder schlechter, oder moralisch überlegen wäre (auch wenn ich nach wie vor den Eindruck habe, dass in unserer aktuellen, westlichen Gesellschaft ein Hochstatus-Verhalten attraktiver und begehrenswerter – im Hinblick auf gesellschaftliche Anerkennung – ist, und deshalb für viele erstrebenswerter erscheint). Sowohl Hoch- als auch Tiefstatus dienen als Verhalten dazu, andere Menschen zu manipulieren. Der Tiefstatus indem er mit seinem Verhalten signalisiert „Tu mir nichts, ich bin es nicht wert, verletzt zu werden“, und der Hochstatus, indem er dominantes Verhalten an den Tag legt, das die anderen dazu bringen soll, zu machen, was er möchte („Macht auszuüben“). Beide Taktiken sind defensiv und dienen dazu, die eigene Persönlichkeit zu schützen, und dahinter steht meist Angst (z.B. davor, verletzt zu werden, oder nicht den richtigen Platz in der Hackordnung zu bekommen). Die Frage, die sich mir hier gestellt hat war: Wie kann man aus diesem Schema ausbrechen? Und vor allem: Wie schafft man es, dass andere einem nicht diese Art defensives Verhalten (Hoch- oder Tiefstatus) entgegen bringen? Die Antwort darauf ist für mich: Offen sein. Empathie zeigen. Den anderen signalisieren, dass sie keine Angst haben brauchen. Und gerade Impro-Theater ist m.E. der Versuch, diesen Schutzmechanismus zu überwinden, die Angst fahren zu lassen und sich zu öffnen.

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One thought on “Der Tiefstatus ist der neue Hochstatus

  • By Markus - Reply

    In einem Workshop über Statusspiele habe ich mich nach den ersten Übungen auch im Tiefstatus wohler gefühlt.
    Nach dem Workshop habe ich gesagt, dass letztendlich die Mischung es macht.
    Ein Leben nur im Hoch- oder nur im Tiefstatus kann kein schönes Leben sein.
    Es ist situationsabhängig. Oder halt lebensabschnittsabhängig.

    Und wie Du richtig bemerkst, ist Impro eine gute Möglichkeit, mal über seinen Schatten zu springen.
    Man hat die Möglichkeit, auch mal der Böse zu sein, mal rumzuschreien (was ich persönlich sonst eigentlich nie mache), mal jemanden zu töten (was man sonst bitte nie machen sollte!).

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