Impro und Systemtheorie

Mehr als zehn Jahre nachdem ich die Uni erfolgreich als Magistra Artium der Philosophie & Soziologie verlassen habe, habe ich im Rahmen einer Trainer-Ausbildung an der Uni Kiel nun endlich auch Luhmanns Systemtheorie verstanden. Und ich habe immer mehr den Eindruck, dass Impro und Systemtheorie ein signifikantes gemeinsames Moment haben: die Reduktion von Komplexität.

Aber von Anfang an: Der Systemtheorie liegt die Prämisse zugrunde, dass Systeme ein Phänomen sind, das ausschließlich dazu dient, Komplexität zu reduzieren. Am Anfang der Welt z.B. gibt es nur Teilchen und leeren Raum, und eine unendliche Menge von Möglichkeiten, wie diese Teilchen sich zusammen formen und in Wechselwirkung miteinander treten könnten – m.a.W. das Chaos. Entstehen jetzt Systeme – z.B. Atome, Moleküle und schließlich größere Körper – so reduziert sich die Komplexität, da es insgesamt weniger Elemente gibt, als in der Ursuppe. Ferner wird die Anzahl möglicher Wechselwirkungen zwischen diesen Elementen verringert, da es eben weniger Elemente gibt (so die Systemtheoretiker).

Und genau das gleiche Phänomen beobachten wir auch beim Impro: Am Anfang, wenn wir als Spieler die leere Bühne betreten, gibt es eine unendliche Menge von Möglichkeiten, was jetzt passieren kann. Und jeder Spielzug von mir und meinem Mitspieler dient dazu, diese Komplexität zu reduzieren, und Zug um Zug Möglichkeiten auszuräumen – und damit die Szene zu erschaffen! Indem wir definieren, erlangen wir mit jedem Zug mehr Klarheit über das Geschehen auf der Bühne!

Natürlich gibt es noch die Art Komplexität, die entsteht, wenn immer mehr definiert wird: Szenen werden kompliziert (weil schon viel eingeführt wurde und es schwierig ist, den Überblick zu behalten), und auch wenn man unsere Welt als „System“ begreift gibt es sicher viele, die aufstöhnen, wie komplex diese doch ist (und dass die Schaffung so vieler Systeme und Sub-Systeme eher dazu beigetragen hat, die Welt noch komplexer zu machen). Hier kommt es darauf an, welchen Begriff von Komplexität wir zugrunde legen: letzteres ist die sog. „Systemkomplexität“ (nach Luhmann), die entsteht, wenn Systeme sich bilden, und die von der ursprünglichen „Weltkomplexität“ zu unterscheiden ist.

Was heißt das jetzt und was folgt daraus? Diese Frage kann ich Euch nicht beantworten. Ich finde lediglich den Gedanken spannend, dass jeder Zug, den wir auf der Bühne machen, der Reduktion von Komplexität (im Sinne einer Reduzierung von Möglichkeiten) dient. Auf diese Weise ist Impro wie die Figur des David, über die ihr Schöpfer Michelangelo sagte: „Der David steckte von Anfang an in dem Marmorblock. Ich habe nur entfernt, was nicht dazu gehörte.“

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