Zwei grundlegende menschliche Bedürfnisse

Vermutlich bin ich nicht die erste, die den folgenden Gedanken hat, und auch nicht die letzte. Ich glaube, dass es zwei grundlegende, konträre menschliche Bedürfnisse und daraus hervorgehende Denk- und Verhaltensmuster gibt:

  1. Der innige Wunsch nach Verbindung, nach Zusammensein, nach Sich-Öffnen und mit anderen verbinden, nach Augenhöhe, nach Kooperation.
  2. Das Bedürfnis, einen Platz in der Hierarchie zu finden, nach Auf- und Abwertung und (Konkurrenz-)Kampf; das, was Keith Johnstone als „Status“ bezeichnet, was man auch als Macht bezeichnen kann und wo es sehr rau und rücksichtslos zugehen kann; das Gegenteil von Verbindung (eher Abgrenzung, aber nicht im Sinne von reaktiver Verteidigung, sondern offensiver)

Diese beiden sind wie Ying und Yang, das Weibliche (Verbindende), und das Männliche (Kämpferische, Aggressive). Man kann diese beiden auch als Schwestertugenden im Modell des Entwicklungsquadrats von Schulz von Thun anordnen, jeweils mit ihren beiden Übertreibungen (die Übertreibung von 1. ist sicherlich ein übertriebenes Streben nach Symbiose; was die Übertreibung der des zweiten Verhaltensmusters ist, sehen wir tagtäglich in Kriegen, Gewalt und anderen Negativ-Schlagzeilen). Selbstwirksamkeit kann der Mensch m.E. in beiden Kategorien erfahren.

Aus beiden dieser Bedürfnisse resultieren Verhaltens-, Denk- und Fühlmuster. Ich glaube, in unserer Gesellschaft gibt es eine starke Überbetonung des zweiten Musters. Das ist das Muster, das die Leute „auf dem Schirm“ haben und nach dem sie sich hauptsächlich verhalten, das ihr Denken und damit auch häufig ihr Fühlen dominiert. Und in der Logik dieses Musters ist die Person „besser“, die höher in der Hierarchie steht, mehr Macht hat, einen höheren Status hat usw. Und da dies „besser“ ist, nehmen die Leute an, dass sie dadurch auch glücklicher und zufriedener werden, wenn sich ihr Status (Status nach Keith Johnstone) erhöht. Ein Stück weit stimmt das mit Sicherheit auch. Und da das größte Streben der Leute das nach Glück ist, und die Annahme ist, wenn man nur einen „hoch-genugen“ Status hat, sei man glücklich, sind die Leute in einem permanenten Kampf, einem Konkurrenz-Kampf um in der Hierarchie nach oben zu kommen, und sie verlieren dadurch die Verbindung zu anderen Menschen. In einigen Fällen geht dies dann sogar mit Gewalt einher, oder mit extremem „Fahrradfahren“ auf Arbeit, in dem andere Menschen rücksichtslos abgewertet werden, um sich selbst aufzuwerten.

Und irgendwann merken die Menschen, dass sie unglücklich sind. Und manche versuchen dann, ihren Status noch weiter zu erhöhen, werden vielleicht noch gewalttätiger und werten andere noch mehr ab, alles auf der Suche nach Glück und Zufriedenheit. Aber das hilft nicht, denn die Leute versuchen, Feuer mit Feuer zu bekämpfen. Denn ich glaube, was ihnen fehlt kommt nicht aus der 2. Kategorie, sondern aus der 1. Kategorie! Was ihnen fehlt ist die Verbindung zu anderen Menschen, der echte Kontakt, die Begegnung auf Augenhöhe, bei der zwei (oder mehr) Menschen sich „ungeschützt“ treffen – ungeschützt deshalb, weil keiner Angst haben muss, dass der andere ihn „bombardiert“, mit ihm kämpfen will, sondern ihn so annimmt, wie er ist. Danach sehnen sich die Menschen, dies ist m.E. ein echtes Grundbedürfnis wie das nach Luft, Nahrung und einem Dach über dem Kopf. Sie sehnen sich natürlich auch nach anderen Dingen, aber in unserer Gesellschaft, die das zweite Muster so überbetont, und in der das erste Muster deshalb oft als Schwäche gilt, glaube ich, dass es das ist, was den Menschen eigentlich fehlt. Und das lernen sie häufig erst langsam durch Coaches und Therapeuten. Das dazugehörige Verhalten dazu zu lernen dauert oft Jahre, denn der Impuls, sich zu schützen, in Konkurrenz zu gehen, andere abzuwerten und seinen eigenen Status zu erhöhen ist so stark, dass die Mauern nur mühsam eingerissen werden können. Manche Frauen bekommen Kinder, nur um dieses erste Bedürfnis (nach Kontakt) in ihrem Leben erfüllt zu wissen, und dann müssen die Kinder als Erfüller dieses Bedürfnisses herhalten; tun sie dies nicht, dann geraten sie in Schwierigkeiten – physisch oder viel häufiger psychisch wird das abgrenzende Verhalten dann bestraft.

Wieder andere Menschen spüren vielleicht, dass das eigentlich ihr Bedürfnis ist (das Bedürfnis nach Liebe, Verbindung), gestehen es sich aber nicht ein oder zu. Denn sie haben irgendwann mal gelernt, dass das ein Zeichen von Schwäche ist, oder dass es bedeutet, dass sie von anderen abhängig sind, und dass das etwas Schlechtes ist, in solch einer Abhängigkeit zu stehen.

Was wir im Impro-Theater versuchen, und wenn es gut läuft, auch erreichen, ist, das erste Bedürfnis zu erfüllen und eine Verbindung zwischen den Spielenden entstehen zu lassen. Anstatt in einem ständigen Konkurrenz- und Status-Kampf zu sein, öffnen sich die Spieler und gehen eine Verbindung zueinander ein. Dies ist das grundlegende Akzeptieren, von dem wir so viel sprechen. Hierbei geht es nicht darum, seine eigenen Ideen und Pläne „gegen die anderen“ durchzudrücken, sondern offen für die Angebote der Mitspieler zu sein, diese anzunehmen und weiter zu führen – und dabei gleichzeitig in einer wohlwollenden Haltung der Verantwortungsübernahmebereitschaft (tolles Wort!) zu sein und dem anderen „unter die Fittiche“ zu greifen, wenn dieser gerade mal keine Idee hat. Auf diese Art und Weise entsteht im Idealfall ein angstfreier Raum, in dem die Spieler frei assoziieren und sich „verbinden“ können, anstatt ihre Ideen und Pläne permanent aneinander zu messen und zu versuchen, diese gegeneinander „durchzudrücken“. Dies ist alles andere als einfach, denn das zweite o.g. Verhaltensmuster hat sich fest im Denken, Fühlen und Verhalten der meisten Menschen eingebrannt – so fest, dass es ihr Verhalten wie in einem Automatismus steuert. Es bedarf einer hohen Aufmerksamkeit und Präsenz, dieses Muster immer wieder zu unterbrechen.

Im Idealfall erhält das zweite Muster – das nach Konkurrenz – nur als Parodie Einzug ins Impro-Theater, z.B. in Formaten wie Theatersport. Echten Wettkampf sollte es m.E. im Impro-Theater nicht geben, dann wird Impro-Theater magisch für Spielende und Zuschauende, denn dann entsteht Flow.

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