Klischees, Tabus und der innere Zensor

In meinem Impro-Universum ist mir in den letzten Tagen und Wochen immer wieder das Thema „Was darf ich auf der Bühne spielen?“ begegnet. Das hat mich zum Nachdenken gebracht und ich möchte Euch meine Gedanken dazu gerne mitteilen. Generell ist meine Grundhaltung fürs Impro-Theater: Keine Tabus im Impro. Möglicherweise reagiert der eine oder andere darauf mit Widerstand, nämlich insofern, dass eingewendet wird: Was ist mit frauenfeindlichen, schwulenfeindlichen oder sonstwie menschenverachtenden und diskriminierenden Äußerungen? Die kann man doch nicht einfach so unreflektiert auf der Bühne raus posaunen! Das stimmt. Dennoch plagt mich die Befürchtung, dass aus Ehrfurcht vor und im Angesicht von zu viel „Political Correctness“ das Impro-Spiel darunter leidet. Ferner schränkt uns der ständige Versuch, auf der Bühne so politisch korrekt wie möglich sein zu wollen, in unserer spielerischen Freiheit ein.

Aber was ist denn die Alternative? Ungezügelt sexistische, schwulen- oder ausländerfeindliche, oder sonstwie diskriminierende Witze zu machen? Das kann es natürlich nicht sein. Möglicherweise ist meine Herangehensweise hier naiv. Auch denke ich, dass dies keine „Entweder-Oder-Frage“ ist, insofern, dass es nur das eine oder nur das andere Extrem geben kann. Die Wahrheit bewegt sich irgendwo dazwischen.

Ich denke jedoch, dass Klischees, Vorurteile und Stereotypen in unserem Denken sowieso existieren, ob uns das nun gefällt, oder nicht. Es ist etwas völlig Menschliches, die Welt mittels solcher Dinge „vorzuordnen“, damit wir uns besser in ihr zurecht finden können (ansonsten wären wir permanent mit einer Masse diffuser, unstrukturierter Informationen konfrontiert, die uns völlig überfordern würde). Die Frage ist, wie sehr wir uns dieser Klischees, Vorurteile usw. bewusst sind, und wie wir damit umgehen. Ich erlebe es so, dass in bestimmten weltanschaulichen Milieus Vorurteile und Klischees generell als verpönt gelten, als politisches und moralisches No-Go. Damit werden diese jedoch tabuisiert, bei mir selbst, und bei anderen. Ich verstehe, warum Vorurteile als politisch und moralisch verpönt gelten, jedoch lässt es sie deshalb nicht verschwinden. Der Versuch allerdings, diese „nicht-existent“ zu machen, gleicht einer Zensur. Und wenn es etwas gibt, das uns im Impro-Theater blockiert, dann ist es eine Zensur, wir sprechen hier ja auch vom „innere Zensor“. Deshalb erlebe ich Menschen, die moralisch und politisch besonders integer sein möchten, und alles „richtig“ machen möchten, manchmal als Impro-Spieler mit besonders starkem inneren Zensor – sie scheuen auf der Bühne das Klischee und das Vorurteil wie der Teufel das Weihwasser, und schränken ihr Spiel damit sehr ein. Das ist schade, denn ich denke, schönes, flowiges Impro und ein gutes Zusammenspiel entsteht, wenn es den Spielern gelingt, den „inneren Zensor“ für die Zeit des Spiels auszuschalten. Der innere Zensor hat seinen Sinn und seinen Wert, beim Impro-Theater spielen ist er uns jedoch im Weg.

Versteht mich nicht falsch: ich denke, dass es durchaus wichtig ist, sich darüber Gedanken zu machen, was man auf der Bühne aussagen möchte, auch politisch und moralisch. Aber es kann m.E. nicht sein, dass ich mit einer Art „moralisch-ideologischem Parteibuch“ ausschließlich auf bestimmte Aussagen hinspielen möchte, und alles, was sich meinungsmäßig außerhalb dieses Parteibuchs bewegt, schlicht ignoriere. Impro ist frei, in diesem Sinne anarchistisch und höchst demokratisch, weil es möglich sein muss, auch andere Meinungen auf der Bühne zu äußern und diese damit zur Debatte zu stellen.

Aber noch einmal zurück zu den Klischees und Vorurteilen: Wie ich schon sagte, sind diese in unseren Köpfen sowieso existent. Ist es nicht besser, diese auch „hinaus zu lassen“ und einer kritischen Prüfung durch das Publikum zu unterziehen? Bzw. kann ich ja als Impro-Spieler sogar noch einen Schritt darüber hinaus gehen: Klischees und Vorurteile auf die Bühne gebracht erzeugen oft Lacher – einerseits, weil das Publikum sich „ertappt“ fühlt, da es selbst ähnliche Bilder im Kopf hat, andererseits, weil ein kollektiver Wiedererkennungswert besteht, ein identitätsstiftendes Momentum. Und genau das ist es, warum Klischees und Vorurteile ja oft als so kritisch beäugt werden: Weil sie identitätsstiftend sind in Abgrenzung, und leider oft in Abwertung, zu anderen Menschengruppen (ideologisch, politisch, religiös, national, sexuell). Und genau diesen Umstand können wir auf der Bühne wunderbar thematisieren, indem wir das Klischee zwar nutzen, aber anschließend auch wieder in Frage stellen können. Ich z.B. hatte letztens einen Heidenspaß dabei, bei einer unserer RomCom Shows in der Figur einer lesbischen Frau zu meiner Mitspielerin völlig Ironie-frei den schönen Satz zu sagen: „Du kannst diese Maschine nicht bedienen. Nur Männer können technische Maschinen richtig bedienen!“ – denn durch die krasse Überzeichnung und den Kontext, diesen Satz aus dem Mund einer lesbischen Frau zu hören, ziehe ich das Klischee so weit ins Absurde, dass es den Zuschauern überhaupt erst einmal bewusst wird, sie aber nicht genau wissen, wie sie darauf reagieren sollen („Ist das jetzt lustig? Darf ich lachen?“), so dass sie eventuell zum Nachdenken über dieses Klischee angeregt werden.

Was eben m.E. nicht geht, ist, wenn ein Spieler (oder eine Spielerin) sich ungezügelt und unreflektiert rassistischer, sexistischer oder sonstwie diskriminierender und menschenverachtender Parolen im Impro-Spiel bedient, um beim Publikum Lacher zu erzeugen. Wenn jemand vorsätzlich „zotig“ wird, mit dem Ziel, sich beim Publikum beliebt zu machen, und das auf Kosten anderer. Wenn andere Spieler daraufhin als Reaktion das Klischee und das Vorurteil auf der Bühne scheuen, wie der Teufel das Weihwasser, ist das für mich absolut nachvollziehbar. Es kann jedoch m.E. nicht sein, dass nur, weil wir mal jemanden gesehen haben, der ein Arschloch auf der Bühne war, wir selbst und deshalb in vermeintlicher Abgrenzung dazu permanent selbst zensieren.

Darum ist es eben so wichtig, mit welcher Haltung wir als Spieler diese Dinge auf die Bühne bringen. Und klar, können wir nicht überprüfen, welche Haltung ein anderer Spieler auf der Impro-Bühne hat, wenn er unverblümt mit Klischees um sich wirft. Aber wir können es bei uns selbst überprüfen! Und wir können unsere Mitspieler fragen, wie es wirkt! Bzw. können wir unseren Mitspielern auch zurück melden, wenn wir deren Haltung fragwürdig finden (dies können wir btw. mit einem gewissen Quäntchen an Mut sogar bei Impro-Spielern, die wir auf der Bühne sehen, tun). Denn auch dies gehört m.E. zu einer demokratischen Debatte, zu einer demokratischen Auseinandersetzung, so etwas zu bemerken und zu konfrontieren. Und nur durch Feedback können wir aufdecken, welche (unbewussten) Klischees sich vielleicht hinter unseren eigenen blinden Flecken verbergen, von denen wir noch gar nichts bemerkt haben.

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3 thoughts on “Klischees, Tabus und der innere Zensor

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