Back to the roots – Impro Theater nach Keith Johnstone

Ich hatte an anderer Stelle schon einmal darüber geschrieben, inwiefern und warum Impro-Theater eine Parodie unserer zwischenmenschlichen Beziehungen ist. Inzwischen ist diesbezüglich noch ein anderer Aspekt in mein Blickfeld gerückt, der in die gleiche Richtung geht. Dieser Aspekt spiegelt vor allem auch das Gefühl wieder, das ich hatte, als Impro-Theater die ersten Male in mein Leben trat – und wegen dem ich mich so ad hoc in das Impro-Theater verliebt habe. Diesen frechen, anarchischen Geist. Ich beziehe mich im Folgenden insbesondere auf die Strömung des Impro-Theaters, die Keith Johnstone geprägt hat.

Bei dieser Form des Impro-Theaters geht es darum, uns allen den Spiegel vorzuhalten – über die Absurdität einiger unserer zwischenmenschlichen Verhaltensweisen. Und das gleichzeitig auf eine sehr offene, freundliche, wertschätzende und humanistische Weise. Wie der Clown, oder Charlie Chaplin, die sich nie über die Dargestellten stellen, sondern ihnen lediglich den Spiegel vorhalten. Das ist frech und auch ein wenig provokativ, und manchmal vielleicht auch abgedroschen, da immer wieder die gleichen Themen und menschlichen Schwächen parodiert werden: Machtverhältnisse (der Menschen untereinander im persönlichen sozialen Umfeld – mikrosoziologisch – sowie das Verhältnis zwischen Mächtigen und „Untertanen“ – makrosoziologisch), Eitelkeit, Schrullen, Liebe (enttäuschte, geile, romantische, naive, erfüllte, zur Gewohnheit gewordene), Geltungssucht, Wettbewerb, Angst vorm Scheitern, Perfektionismus.

Impro Theater bietet wie der Hofnarr die Freiheit und die Möglichkeit, diese Dinge auf die Bühne zu bringen und zu parodieren, ohne dass man es ihm übel nimmt.Es richtet sich damit auf eine bestimmte Art und Weise „gegen“ die Gesellschaft und ist doch gleichzeitig Teil von ihr, da wir alle diese o.g. Eigenschaften oder Verhaltensweisen auf die eine oder andere Weise mitbringen. Und natürlich sind viele dieser Dinge Klischees, oder werden zumindest für die Bühne klischeehaft überzogen.

In meinen Kursen und Workshops erlebe ich immer wieder Teilnehmer, die Schwierigkeiten damit haben, Klischees auf der Bühne darzustellen, dies nicht wollen, blöd finden, Skrupel haben. Sie fürchten, es könnte unoriginell sein, zu platt oder Leute vorführen. Dabei geht es genau darum – Leute bzw. menschliche Verhaltensweisen vorzuführen, zu parodieren und damit deren Absurdität aufzuzeigen!* Und zwar aus einer Haltung heraus, bei der sich die Darsteller eben nicht über Parodierten stellten, sondern sie liebe- und respektvoll „verhohnepiepeln“, stets in dem Bewusstsein, dass wir alle dem einen oder anderen Klischee, das wir da gerade parodieren, selbst entsprechen. Das ist für manche Teilnehmer vielleicht auch schmerzhaft, sich einzugestehen, aber wenn man diese „Hürde“ einmal überwunden hat und es für einen selbst nicht mehr schlimm ist, dass man diese Dinge auch selbst „hat“ bzw. „tut“, macht es um so mehr Spaß, damit zu spielen.

Und gleichzeitig ist das Spielen auf diese Art und Weise für die Spieler selbst höchst „kartharsisch“, fast schon therapeutisch: Sie können diese Anteile, die wir alle zu gewissen Teilen mitbringen, im Spiel rauslassen, überziehen, sich ausprobieren, wie es ist, solche Anteile auszuleben, ohne dass Konsequenzen drohen – denn am Ende des Abends ist die Show oder der Kurs zu Ende und es geht wieder „ins normale Leben“. Das ist es vermutlich, was Katharina Butting meint wenn sie sagt, die Bühne (sie meint wohl vor allem die Impro-Bühne) sei der sicherste Ort der Welt. Denn innerhalb des Impro Ensembles selbst sollten diese Dinge (Machtspielchen, Eitelkeiten, Wettbewerb, Geltungssüchte) keine so große Rolle mehr spielen, da wir sie ja bereits auf der Bühne ausleben und parodieren und in dieser Hinsicht miteinander „spielen“ (so zumindest die Theorie). Und im Spiel parodieren wir ja genau z.B. das Thema „Status“ (Machtspielchen) und ent-tabuisieren es damit.

Jill Bernard sagte in einem Workshop einmal den schönen Satz „Improv should feel naughty.“ („Impro sollte sich ungezogen anfühlen“), und sie meinte das darauf bezogen, dass wir ohne einen Plan zu haben uns erdreisten, auf die Bühne zu gehen und vor Leuten für Geld etwas zu spielen. Wie unglaublich unverschämt! Aber ich glaube, Impro ist auch deshalb „naughty“, weil wir auf der Bühne wirklich „ungezogen“ sind! Wir zeigen all diese Verhaltensweisen, die es im menschlichen Zusammenleben zwar gibt, die aber dennoch größtenteils tabuisiert sind und die man i.d.R. (außerhalb von Coaching-, Supervisions- oder Therapie-Kontexten) nicht explizit thematisiert. Und zwar zeigen wir sie, indem wir uns in gewisser Weise über sie lustig machen und ihnen genau damit auch den Schrecken und das Tabu-Hafte nehmen. Wenn das nicht „naughty“ ist, weiß ich nicht, was sonst. Es ist „naughty“ und gleichzeitig zutiefst humanistisch, und deshalb liebe ich das Impro-Theater so!

In der Impro-Theater-Szene kommt immer wieder die Frage auf, ob Impro-Theater politisch sein kann, sein sollte und wenn ja, wie es dies tun kann. Ich finde, der o.g. Ansatz ist schon per se politisch, da eben genau die Dinge parodiert werden, die zu seltsamen politischen Konstellationen führen: Geltungssucht, Machtstreben, Eitelkeiten, übermäßiger Wettbewerb, Machtverhältnisse zwischen einzelnen Menschen und zwischen ganzen Menschengruppen. Sich – wie der Clown – über die Verhaltensweisen der Mächtigen lustig zu machen, sie zu übertreiben, zu parodieren, das Tabu brechen, diese Dinge überhaupt auf die Bühne zu bringen hat m.E. per se schon was Politisches. Was ist Politik sonst, wenn nicht die eitlen Spielereien einiger weniger? Bzw. die Faulheit / Bequemlichkeit der Masse, selbst in diesem Bereich aktiv zu werden und die anderen „machen“ zu lassen?

Diese Zeilen beziehen sich wie gesagt in erster Linie auf die Impro-Theater-Strömung, die auf Keith Johnstone zurückgeht. Es gibt noch viele andere Richtungen, die genauso ihre Berechtigung haben und andere Dinge betonen / in den Vordergrund stellen. Ich finde jedoch diese Richtung tatsächlich sehr charmant, witzig, humanistisch und die Themen immer aktuell. Und ein Stück weit eben auch politisch allein schon dadurch, dass man das Tabuisierte öffentlich macht.

*Mir ist es an dieser Stelle wichtig zu erwähnen, dass es mir hier immer um Klischees über bestimmte menschliche Verhaltensweisen geht, nicht um Klischees über Personengruppen. Die sind in der Tat oft abwertend, wobei ich auch hier denke, dass ein spielerischer Umgang dabei hilft, diese Themen zu ent-tabuisieren und gleichzeitig einen „erwachsenen“ Dialog darüber zu führen, anstatt die Menschen wie Kinder zu behandeln und mit Sprachverboten und Dogmen zu arbeiten. Wichtig eben auch hier: Die Haltung. Wenn ich meine Abwertungen anderer tarne hinter „Du hast ja gar keinen Humor!“, oder „Das ist doch spielerisch gemeint, Du nimmst alles viel zu ernst!“ dann kann das ein Problem werden, dann tarne ich nicht nur meine abwertende Haltung hinter vermeintlichem „Humor“, sondern kann gleichzeitig noch schön mit dem Finger auf den anderen zeigen, der ja so humorlos ist. Ein Win-Win für mich, aber eine ganz schwierige Haltung, wie ich finde… Das zu unterscheiden ist oft ein schmaler Grat, ganz ganz schmal…

Ich meine Klischees wie: Der Liebste betrügt die Liebste, wie reagiert sie? Im „echten“ Leben wohl am ehesten mit Eifersucht und Wut, aber manche Spieler scheuen sich dann, diese offensichtliche Reaktion auf die Bühne zu bringen – vielleicht, weil sie sie unoriginell finden (EBEN WEIL es im echten Leben auch so ist und die Reaktion auf der Bühne doch „besonders“ sein muss), vielleicht weil sie selbst auch so reagieren würden, diese Reaktion an sich aber scheiße finden. Und ergo „darf“ sie auch nicht auf die Bühne… Im Moment lese ich gerade Del Close, und er meint im Prinzip genau das Gleiche: Komik entsteht aus Ehrlichkeit. Wenn wir diese „offensichtliche“, „ehrliche“ Reaktion auf die Bühne bringen, ist das a) die einfachste und b) häufig die witzigste, weil so viele Menschen sich darin wieder erkennen (und das bringt uns zum Lachen, denn wir bekommen den Spiegel über unsere eigenen absurden Verhaltensweisen vorgeführt). Und gleichzeitig wird die Improvisation dadurch so einfach, so leicht und so unanstrengend, wenn wir einfach nur das Naheliegende nehmen.

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