Curvy Models & liebevoller mit sich selbst umgehen

Ich habe in der letzten Zeit viel über das Konzept des „Curvy Models“ nachgedacht und was ich eigentlich davon halte. Ist es ein begrüßenswerter Trend zu mehr Diversität und Akzeptanz oder doch wieder lediglich der Versuch der Werbung, ihren Kram besser zu verkaufen? Oder von beidem ein bisschen? Dabei ist mir u.a. wieder die alte Werbe-Campagne von Dove von vor ein paar Jahren eingefallen. Im Rahmen dessen bin ich dann auf folgenden Artikel aus dem Tagesspiegel von 2018 gestoßen: https://www.tagesspiegel.de/wissen/vortrag-von-rosalind-gill-wenn-selbstvertrauen-zum-zwang-wird/22583272.html

Spannend fand ich an diesem Artikel die Aussage, dass das neue Credo für frau, welches diese Art Werbung vermittelt, nicht mehr ist „sexy“ zu sein und gut auszusehen, sondern dass „Selbstvertrauen“ das neue Ziel ist, das die Werbung proklamiert und das es zu erreichen gilt, sie spricht von einem Kult des Selbstvertrauens, von einem Zwang zum Selbstvertrauen. Nach dem Motto: Du bist Deines Glückes Schmied und „Wer noch immer nicht einhundert Prozent von sich überzeugt ist, hat Erfolg im Beruf nicht verdient.“ (Zitat aus o.g. Artikel)

Ich denke, dieses Motto bzw. dieser Glaubenssatz ist schon viel länger am Start… Ich sehe ihn bei so vielen Coaches als alleiniges (implizites, unbewusstes) „Entwicklungsziel“ für ihre Klienten, ich sehe es in der Werbung und eigentlich ständig und überall, wenn ich mit Leuten in (Inter)Aktion trete. Und auch an mich wurde dieser Glaubenssatz sehr früh als Erwartung heran getragen und ich fühlte mich als kleines Kind unfassbar schlecht, wenn es mir schlecht ging, ich mich klein, traurig und wertlos fühlte und ich diese Erwartung nicht erfüllte. Ich hatte sozusagen Komplexe wegen meiner Komplexe. Ich glaube, dieser Glaubenssatz / dieses Entwicklungsziel ist Teil unserer gesellschaftlichen DNA in dieser Zeit. Das geht in die Richtung eines anderen Artikels, den ich vor kurzem zum Thema „Schwäche“ schrieb. Dabei ist dieser Glaubenssatz für mich lediglich eine andere Spielart des TA-Antreibers „Sei stark!“ Und Antreiber rauben einem eigentlich immer ein bisschen ein Stück Freiheit…

Wie auch im Tagesspiegel-Artikel gesagt, ist Selbstvertrauen eine gute Sache, keine Frage. Aber wenn es zum Zwang wird und man es als Erwartungsmaßstab an sich und andere heran trägt, erzeugt das immer Druck, und Enttäuschung, wenn man diesem Maßstab / diesem Ziel nicht gerecht wird. Und dann fühlt man sich schlecht und schämt sich und das Selbstvertrauen geht noch mehr in den Keller, man fühlt sich noch schlechter, ein Teufelskreis! Und dabei wünscht man sich doch so sehr, liebevoller mit sich selbst umzugehen und sich mit sich selbst und in seiner Haut wohl zu fühlen und seinen Frieden mit sich und der Welt zu machen!

Viele Leute die ich kenne (und auch ich selbst) haben „Selbstliebe“ als eines ihrer Entwicklungsziele (Gerald Hüther formuliert es etwas hübscher, indem er es „liebevoll mit sich selbst umgehen“ nennt). Manche auch in der Hoffnung, dadurch (endlich!) selbstbewusster zu werden. Ich denke, hier beißt sich das Eichhörnchen in den Schwanz: Denn es ist erneut der (meist von außen kommende) Glaubenssatz am Start „Ich muss selbstbewusst sein!“, und wenn dies nicht erfüllt ist (man sich also vielleicht traurig, klein, schwach, „nicht performant“ und weniger wert fühlt), fühlt man sich schlecht und dann war es das mit der Selbstliebe.

Die eigentliche Selbstliebe fängt m.E. jedoch dort an, wo ich mir auch zugestehen und akzeptieren kann, dass ich mich manchmal eben nicht liebe. Und dass ich manchmal eben nicht selbstbewusst bin. Und dass ich manchmal schwach bin und auch manchmal Angst habe. Aber das ist schwer, wenn einem dieser Glaubenssatz so früh und so heftig eingeimpft wurde und von der Gesellschaft immer wieder um die Ohren gehauen wird!! Übrigens sehe ich hier keinen großen Unterschied in der diese Erwartung an Frauen und Männer gestellt wird.

Für mich war dieser Artikel ein Augenöffner, denn vorher war mir nie so sehr bewusst, wie doll, wie sehr, aus wie vielen Ecken und wie lange schon diese Erwartung immer wieder an mich heran getragen wurde und wird, und wie schwer sich Menschen damit tun, wenn sie oder andere diese nicht erfüllen.

Tja, und was heißt das nun im Bezug auf meine Haltung zum Konzept der „Curvy Models“? Ich weiß es noch nicht. Ich glaube, insgesamt begrüße ich diesen Trend – auch wenn mir jetzt bewusst(er) geworden ist, dass es damit wieder neue Ziele und Ideale gibt, die an Frauen (Menschen) heran getragen werden. Also schauen wir mal, was die Zukunft so bringt.

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