Lange war mir „das Ego“ nur als Alltagsbegriff bekannt – bis ich angefangen habe, Impro zu machen. Plötzlich war das Ego „a thing“, und zwar offensichtlich kein gutes… Im Impro (genau wie in einigen spirituellen Richtungen oder in der Meditation) gibt es ein regelrechtes „Ego-Bashing“: Das Ego ist schlecht, das Ego blockiert, das Ego hält uns von vielen Dingen ab, das Ego ist ein Schwein. Dieses Ego-Bashing hat regelrecht eine moralische Konnotation, d.h. ein Ego zu haben (oder dass es sich zeigt) ist moralisch schlecht.
Ich habe mich deshalb auch oft schlecht gefühlt und geschämt, wenn ich z.B. im Impro indirekt oder durch die Blume vermittelt bekommen hab, dass mein Ego mich hier gerade in etwas blockiert. Gleichzeitig habe ich andere Leute – im Impro wie im Alltag – dafür verurteilt (auch moralisch), wenn sich ihr Ego in ihrem Verhalten zu stark bemerkbar gemacht hat.
Nun ist eines der Prinzipien im Impro ja die Akzeptanz… Und ich denke, die darf man ruhig auch hier walten lassen und dem Ego entgegen bringen! Auch wenn es blockiert! Auch wenn es uns lächerliche, blöde, peinliche und absurde Dinge tun lässt! Mein Ego ist so ein bisschen wie mein fünf-jähriges Ich (und wenn wir mal ehrlich sind, ist es ja auch nichts anderes), das sich nach Liebe und nach Aufmerksamkeit sehnt und das es deshalb eher in den Arm zu nehmen als zu bashen gilt (meine Meinung).
Gleichzeitig hat das Ego eine Schutzfunktion. Ich glaube sogar, dass das seine primäre Funktion ist. Und je nach dem, wie viele Verletzungen und Angriffe wir in unseren frühen Jahren (vielleicht auch später) erfahren haben, desto wachsamer ist das Ego und desto schneller springt es an (wie ein scharfer Hund). Das kann so weit gehen, dass das Ego vielleicht sogar zu schnell anspringt und uns vor Dingen schützen möchte, die gar keine Bedrohung sind.
In den letzten zwei Wochen hatte ich einen regelrechten „Ego-Boost“ insofern, dass das Thema plötzlich mehrfach auf meiner inneren und äußeren Bildfläche auftauchte. Zuerst letzte Woche als ich nach einer Publikation suchte, in der es eigentlich um Fehler machen ging (die Grundthese dieser Publikation war, dass das Hinweisen auf einen Fehler fürs Lernen kontraproduktiv ist, da mensch nach so einem Hinweis erst einmal wieder damit beschäftigt ist, sein Selbstwertgefühl zu stabilisieren und gar keine „Kapazität“ fürs Lernen hat). Im Zuge dieser Publikation ist mir aufgefallen, dass das, was im Deutschen mit „Selbstwertgefühl“ umschrieben ist, im Englischen als „Ego“ bezeichnet wurde. Das gab mir zu denken. Denn, wir erinnern uns: „Ego“ ist ein im Deutschen sehr negativ konnotierter Begriff, insbesondere, wenn man in irgendwie auch nur ansatzweise spirituell angehauchten Kreisen unterwegs ist – während „Selbstwertgefühl“ etwas Positives, ein zu erstrebendes Ideal darstellt. Diese beiden sollen das Gleiche sein? Das gab mir zu denken… Und ja, sie sind es! Das möchte ich erstmal ohne es zu bewerten so stehen lassen.
Eine andere Information, die mich zum Nachdenken brachte kam aus „>einem Film, den ich am Wochenende im Kino gesehen habe und in dem es um das Bewusstsein ging: Ein buddhistischer Mönch meinte im Voice Over, dass das Ego für viele Dinge – (sexuelle) Obsession, Eifersucht, Neid u.a. – verantwortlich ist, und deshalb Leid erzeugt. Aber das ist eine völlig andere Perspektive als die des moralischen Abstrafens von mir selbst oder anderer für ihr Ego und / oder ihr Ego-getriebenes Verhalten!
Natürlich kann ich auch hier aus der Perspektive der „Schuld“ oder des Verursachers gucken: Weil Du so ein Riesen-Ego hast (oder: weil Dein Ego so laut spricht) erzeugst Du durch Dein Verhalten Leid für andere – und für Dich. Dann ist sofort wieder die moralisch-abstrafende Komponente dabei. Ich denke nur nicht, dass mit dieser Perspektive irgendwem geholfen ist… Es kommt noch abstruser: Wenn ich mich selbst abstrafe für mein Ego-getriebenes Verhalten und für mein großes Ego – wer tut denn das dann? Natürlich auch wieder das Ego. Mein Ego sagt mir: Du bist nicht gut genug, weil Du so ein großes Ego hast. Schäm Dich. Tu was. Ich glaube nicht, dass damit irgendwem geholfen ist.
Ein zweiter interessanter Punkt aus dem gleichen Film war: Die Bereiche im Gehirn, in denen das Ego „sitzt“ (offenbar kann man diese im Kernspin lokalisieren) sind bei Menschen mit Depressionen und Angststörungen besonders ausgeprägt. Hört hört! Was sich verstandesgemäß (insbesondere, wenn man bedenkt, dass „Ego“ und „Selbstwertgefühl“ möglicherweise die gleiche Sache meinen) erstmal seltsam anhört, erschloss sich mir intuitiv in der gleichen Sekunde. Na klar! Menschen mit Angststörungen oder Depression sind fortwährend damit beschäftigt, ihre psychische „Schutzfunktion“ in Form des Ego aufrecht zu erhalten, weil sie den Impuls haben, sich ständig schützen zu wollen vor irgendetwas.
Worauf will ich hinaus? Wie so oft auf nichts Konkretes, außer: Ich glaube nicht, dass es hilfreich oder zielführend ist, das eigene Ego (oder auch das anderer Menschen – aber insbesondere das eigene) zu bashen, wenn man bemerkt, dass es gerade wieder Überhand nimmt oder vielleicht sogar die Kontrolle übers eigene Verhalten übernimmt. Im Gegenteil: Ich denke, es macht mehr Sinn, wenn wir unser Ego als einen guten Kumpel von uns betrachten, der uns auch Gutes will – aber manchmal dabei vielleicht ein bisschen übers Ziel hinaus schießt (die Perspektive, es wie das eigene fünf-jährige Ich zu betrachten mag ich in diesem Kontext gar nicht, da es so etwas herabschauendes, abwertendes, nicht-ernst-nehmendes hat). Freundlich zu sich selbst und zum eigenen Ego zu sein. Gerald Hüther würde sagen: Liebevoll mit sich selbst umgehen. Und das schließt m.E. auch das eigene Ego ein. Nur so haben wir überhaupt die Chance, in eine Position der inneren Ruhe und Entspanntheit zu kommen, aus der es sich viel angenehmer und weniger getrieben agieren lässt. Und das meine ich nicht als moralische Aufforderung! Ich denke, sich selbst schlecht zu fühlen und abzustrafen für „schlechte“ Gefühle wie Eifersucht, Neid, Schüchternheit, Eitelkeit, Arroganz, Scham, Obsession u.v.a. hilft nicht weiter und entfremdet uns nur noch mehr von uns selbst – das heißt nicht, dass ich zum „Sklave“ meines Egos werde und allen Impulsen, die es mir gibt, folge. Es heißt lediglich, dass ich mich dafür nicht zusätzlich noch bashe. Deshalb: Ein klitzekleines Hoch auf das Ego, mit dem ich selbst lange gehadert habe 🙂