Ist Impro politisch?

Was für eine Frage! Natürlich ist Impro politisch in dem, was es auf die Bühne bringt und welche Aussagen darin enthalten sind. Dies ist ein großes Thema und aktuell wird in der Impro-Szene (angelehnt an die gesamtgesellschaftlich stattfindenden Diskurse) auch immer wieder viel diskutiert, was Impro „darf“ und was es „nicht darf“ bzw. nicht dürfen sollte.

Aber das meine ich nicht. Ich meine, ob das Improvisationstheater an sich politisch ist… Und in meiner Lesart ist es das – zumindest das Impro-Theater, das auf Keith Johnstone zurück geht ist in der Art, wie ich es verstehe, schon in sich politisch. Warum? Weil, so wie ich es verstehe, es in erster Linie um eine Persiflierung des Leistungsgedankens und des „höher, schneller, weiter“ geht. Dies hab ich bereits vor einiger Zeit in einem Artikel über mein Verständnis des Impro-Ansatzes von Keith Johnstone kurz erwähnt und möchte an dieser Stelle nochmal ausführlicher darauf eingehen.

Unsere Gesellschaft ist eine Leistungsgesellschaft. Das ist nicht nur mein Gefühl, sondern das ist die Diagnose vieler Soziologen, Psychologen, Philosophen und Politikwissenschaftler. Schön zusammen gefasst gehört habe ich das zuletzt in diesem Podcast: https://www.ndr.de/nachrichten/info/Synapsen-Wer-ist-hier-sozial-schwach,podcastsynapsen210.html

Dieser permanente Leistungsdruck, dem eigentlich jeder von uns in unserer Gesellschaft ausgesetzt ist, macht krank – psychisch. Auch das ist ein Befund, der sich im Feuilleton und in vielen Büchern wieder findet. Improvisationstheater, so, wie ich es kennen gelernt habe und wie ich es versuche, weiter zu geben, setzt einen Gegenpol dazu: Indem es eben gerade genau nicht darum gehen soll, „abzuliefern“, sondern durchschnittlich zu sein. „Be average!“ sagt Keith Johnstone und auch, dass es absurd ist zu versuchen, Fehler zu vermeiden – eine Haltung, die im Alltag mehr als hinderlich ist, denn hier versucht mensch i.d.R. Fehler zu vermeiden.

Und zwar auch aus gutem Grund: Machen wir einen Fehler und werden wir darauf hingewiesen sinkt i.d.R. unser Selbstwertgefühl erstmal ab (vgl. Beitrag von letzter Woche) und wir sind erstmal wieder mit der Stabilisierung desselbigen beschäftigt. Lernen passé. Mehr dazu hier.

In diesem Klima ist Impro nicht nur ein sehr heilsamer und entspannender Gegenentwurf zu dem, was wir in anderen Kontexten sonst jeden Tag erleben. Sondern es ist m.E. auch politisch. Wie in dem o.g. Podcast erwähnt wird, haben ca. 25% der Menschen in Deutschland eine „extrem marktförmige Einstellung“ (ab ca. Min. 34 im Podcast). Diese neo-liberale Grundhaltung führt dazu, dass Menschen sich in ihrem eigenen Hamsterrad verstricken, dass Menschen andere abwerten (marktförmiger Extremismus: „Wenn Du arm bist und in einer prekären Situation bist Du selber dran schuld weil Du Dich nicht genug angestrengt hast und dann hast Du es auch nicht anders verdient!“) oder selbst Abstiegsangst erleben, siehe Podcast.

Und genau hierzu bietet Impro einen wunderbaren Gegenentwurf! Und das nicht, indem es mit dem moralischen Zeigefinger daher kommt und moralisierend auf uns einredet, wie schlecht die Welt ist und dass alles böse ist. Sondern indem es diese Mechanismen mit einem Augenzwinkern persifliert – und zwar nicht nur in Formaten wie „Theatersport“, das eine Persiflage auf den Wettbewerbsgedanken darstellt und ähnlich wie Wrestling ein Scheinwettbewerb mit völlig absurden Regeln und völlig willkürlichem Ausgang ist (allein dadurch schon spottet dieses Format dem allgegenwärtigen Leistungsgedanken in unserer Gesellschaft). Sondern auch in seiner gesamten Herangehensweise, eben dass es sagt, versuch nicht, Dein Bestes zu geben, sondern sei durchschnittlich. Oder: Wenn Fehler passieren, ärgere Dich nicht, sondern baue sie ins Spiel ein, denn es ist absurd zu versuchen, Fehler zu vermeiden. Indem Impro nicht einen „höher, schneller, weiter“ Ansatz verfolgt, zeigt es dem in unserer Gesellschaft zugrundeliegenden Mechanismus den Mittelfinger – und zwar mi einem Augenzwinkern. Das hat in meinen Augen etwas sehr Anarchisches, das ich sehr liebe am Impro. Impro „macht“ einfach, es wird nicht diskutiert, verbalisiert, moralisiert, sondern es setzt mit seinem Tun einfach einen praktischen Gegenentwurf zum Leistungsgedanken unserer Gesellschaft.

Umso schlimmer finde ich es, wenn sich dann „durch die Hintertür“ doch wieder der Leistungsgedanke einschleicht: Mein ganzes „Impro-Leben“ hindurch erlebe ich diesen Widerspruch, diese Ambivalenz: Einerseits: Weg vom Leistungsgedanken, sei durchschnittlich, nimm das Naheliegende, versuche nicht, zu glänzen (sondern lass stattdessen Deinen Partner glänzen). Bewerte nicht – Dich selbst und Deine Arbeit nicht und auch nicht die Deines Mitspielers. Auf der anderen Seite scheint sich, sobald wir den Kursraum auch nur verlassen haben, das Thema „Bewertung“ wieder einzuschleichen: Wer war gut, wer war nicht so gut, wer ist ein guter Spieler, wer nicht so. Noch extremer wird es, wenn Gruppen auf die Bühne gehen und Zuschauer brauchen. Oder Einnahmen. Sobald Geld ins Spiel kommt, ist der Leistungsgedanke m.E. sofort wieder präsent – ob bei Amateur- oder bei Profi-Truppen. Wer nicht „richtig“ performt wird aussortiert oder kommt gar nicht erst auf die Bühne. Diskussionen gehen los darüber, was „richtig“ und „falsch“ ist. Ob jemand einen „Fehler“ gemacht hat, indem er z.B. nicht akzeptiert hat, oder was auch immer. D.h. all diese Dinge, die wir beim Impro eigentlich außen vor lassen wollen, kommen wieder rein. Eine Lösung für dieses Dilemma habe ich leider nicht. Vielleicht ist es unvermeidbar, so lange wir in dieser Leistungsgesellschaft leben, in der es darum geht, Aufmerksamkeit oder Einnahmen oder sogar beides zu generieren.

Vielleicht ist dieses Persiflieren des unserer Gesellschaft zugrundeliegenden Leistungsgedankens nicht mehr zeitgemäß (am WE hatte ich das Gefühl, als ich ein paar sehr junge Männer in einem meiner Kurse hatte, die für diesen Ansatz überhaupt nicht zugänglich zu sein schienen). Vielleicht bin ich anachronistisch. Vielleicht werden die Debatten heute anders geführt oder auf andere Weise geführt. Ich war als Schüler und Studentin in der linken Szene politisch ziemlich aktiv. In dieser Zeit habe ich schon bemerkt, was mir jetzt, gut 25 – 30 Jahre später, sauer aufstößt wenn ich mir die aktuellen Diskurse und Themen der politischen Linken anschaue: Absolutismus, Verbissenheit, Intoleranz, Schwarz-Weiß-Denken und Humorlosigkeit prägen m.E. vielfach den Diskurs – und prägten ihn innerhalb der Linken auch schon in den 90ern. Auch in diesem Kontext gefällt mir Impro-Theater als Form der Gesellschaftskritik, denn es ist spielerisch, heiter, freudvoll, un-ernst und un-eindeutig – und ich wünsche mir, dass das so bleibt.

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2 thoughts on “Ist Impro politisch?

  • By Sarah - Reply

    Danke für diesen sehr interessanten Text. Du beschreibst da wirklich ein Dilemma, das echt schwierig ist..
    In der Improszene bin ich ja nicht aktiv und in meiner „Szene“ gibt es keine wirtschaftliche Konkurrenz, da die meisten Freizeit-Theatergruppen – zumindest als ich in Berlin tätig war – nicht miteinander in Kontakt stehen und als Publikum sowieso nur ihre Bekannten, Freunde und Familie ansprechen. Deshalb kann ich da aus eigener Erfahrung nicht viel beitragen, habe aber trotzdem ein paar Gedanken. Ich hoffe, es ist okay, wenn ich diese hier teile.
    Ich glaube, als Form ist Improtheater im Idealfall immer noch genau das: wertungsfrei, verspielt, offen, frei von richtig und falsch, ohne Leistungsdruck.
    Aber als Unternehmung ist es wie alle Unternehmungen automatisch dem Prinzip der Marktwirtschaft unterlegen. Anders ist es ja gar nicht möglich. Ich wüsste zumindest nicht wie. Die einzige Alternative wäre eine Amateur-Improszene, die ganz frei von Geldeinnahmen durch Publikum ist. Entweder indem die Teilnehmenden die Raumkosten tragen oder die Räume gesponsert bzw. von einer Institution zur Verfügung gestellt werden. Es gäbe also keine Ausgaben, die man stemmen müsste. Dann bliebe „nur“ noch die Bewertung untereinander und durch die Zuschauenden. Die kann man glaube ich eindämmen durch wertschätzende Kommunikation und wertfreies Feedback (soweit möglich und dauert lange), aber ganz entfernen kann man sie glaube ich nicht.
    Das erinnert mich an unsere Podcastfolge zum Thema „Fehler“. Ich glaube, wir können nicht nicht werten, da wir uns selbst ja immer im Abgleich und Vergleich mit anderen definieren. Was die Parameter sind, nach denen wir uns richten in diesem Abgleich, und ob wir uns selbst und den/die andere*n eher ab- oder aufwerten, ist vermutlich individuell unterschiedlich und durch Erziehung, Sozialisierung und Erfahrung geprägt. Und da schleicht sich ja der Leistungsgedanke immer wieder ein. Wenn der wegfällt, bleiben aber auch noch viele andere Parameter zum Vergleichen und Bewerten: Intelligenz, Aussehen, Charakter, Humor, Verhalten, Bewegungen … irgendwas fällt uns immer ein.
    Aber hey: wir arbeiten dran! 😀

    Liebe Grüße,
    Sarah

  • By Claudia - Reply

    Hallo Sarah,
    danke für Deinen Kommentar, das sehe ich so wie Du. Klar bewerten wir immer, das denke ich auch, weil es in unserer menschlichen Natur liegt. Ständige und absolute Bewertungsfreiheit zu fordern ist unrealistisch und kann nur in Verbissenheit und Heuchelei enden.
    Ich finde es wichtig, sich darüber bewusst zu sein, dass man gerade vielleicht wieder genau in die „Fallen“ tappt das zu tun, dessen Abwesenheit einen beim Impro vielleicht ursprünglich mal so fasziniert hat. Und dann eben entsprechend damit umzugehen (in der Kommunikation, wertschätzend etc.).
    Und auch da wird es immer wieder Situationen geben, wo es diese Möglichkeit (zur Meta-Kommunikation) nicht gibt, aus welchen Gründen auch immer, und dann gilt es m.E. einfach, mit diesem Frust und dieser Ambivalenz zu leben. Gehört zum Erwachsenwerden dazu 🙂 (und das meine ich nicht im Sinne einer neo-liberalen Selbstoptimierung 🙂 ).
    LIebe Grüße nach Rostock!!

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