Impro-Theater nach Keith Johnstone

Erkenntnis: Keith Johnstone Impro persifliert immer menschliches Verhalten – vor allem, wenn es um Status geht:

Beim Tiefstatus das Duckmäuserische, Schüchterne, sich beflissen Unterordnende

Beim Hochstatus die Dominanz, das Übergriffige, (falsches) Selbstbewusstsein

Und gleichzeitig ist diese Darstellung nie herabwürdigend oder abwertend, sondern bleibt immer menschlich, weil sie versucht, das Komische, Alberne, Seltsame in diesem Verhalten zu zeigen… Also die Absurdität. Es hat immer etwas Tragisches, wenn Figuren sich so verhalten, da sie es oft nicht freiwillig tun, sondern durch irgendwelche Konditionierungen, Glaubenssätze, durch Dummheit, Ego, Hybris oder Kurzsichtigkeit dazu gezwungen sind – wie wir alle irgendwie, denn wir alle verhalten uns irgendwann wegen solcher Sachen dumm!

Obwohl es ein sehr entlarvender Blick auf das Status-Verhalten von Menschen ist, hat dieser Blick auch immer was Liebevolles, Verständnisvolles – auch wenn er vielleicht manchmal brutal bloßstellend ist.

Damit hält er uns und unseren manchmal schrulligen Verhaltensweisen auf lustige Weise einen Spiegel vor, der etwas sehr Komisches hat und gleichzeitig ein bisschen die Tragik unserer Existenz zeigt.

Die Frage ist: Ist das noch zeitgemäß? Ist das modern?

Keith Johnstone arbeitet beim Thema „Status“ mit sehr klassischen Verhaltens-Klischees, die viele Menschen versuchen, zu reflektieren und zu verändern – gerade weil sie diese Verhaltensweisen eben nicht mögen und „aufgeklärt“, egalitär und auf Augenhöhe sein wollen. Die Frage ist: Ist unser Verhalten wirklich so eindimensional, wie Johnstone es annimmt / suggeriert, oder sind wir in der Lage, uns zu verändern? Ich vermute, Keith Johnstones Haltung dazu ist fatalistisch, er würde sagen: Nein, sind wir nicht. Aber so ist es eben, und das kann man nur mit einem liebevollen Humor sehen.

Ich vermute, selbst er wird von seinen Triggern gebeutelt, von Eitelkeiten und Ego (auch sein gespielter Tiefstatus und sein immer wiederkehrendes „I hate it when people say ‚Keith said'“ zeigen ein gewisses Tiefstapeln und eine invertierte Art von Eitelkeit, die gleichzeitig ein Schutz ist). Ich denke nicht, dass er darüber erhaben ist, und ich denke auch nicht, dass er sich als erhaben darüber sieht. Kein Mensch ist darüber erhaben, und wenn, macht er sich etwas vor – eine Art Hybris, die ihrerseits wieder Grund genug zur Persiflage bietet. Aber: ist das noch zeitgemäß? Ist unser menschliches Verhalten nicht komplexer?

Ich denke, ja. Einerseits hat Johnstone Recht, dass Menschen sich so verhalten, früher so verhalten haben und auch immer noch verhalten. Andererseits gibt es aber auch genügend Momente und Situationen, in denen Menschen nicht in ihren Schutzstrategien gefangen sind, sondern sich öffnen und verletzlich zeigen – und alle Nuancen, Facetten und Mischungen dazwischen. Auch das hat wiederum eine Tragik in sich selbst: nämlich, wenn eine Figur sich wirklich offen und verletzlich zeigt, und eine andere in ihren Status-Schutzstrategien gefangen ist und die beiden deshalb einfach nicht zueinander finden.

Nur: Komischeres Potential haben natürlich diese Klischees von menschlichem Verhalten. Aber ich verstehe, dass manche Spieler das vielleicht als zu undifferenziert und nicht mehr zeitgemäß empfinden. Die Frage ist: Machen diese sich vielleicht auch etwas vor und sind sie vielleicht auch nur Opfer ihres eigenen Egos, ihrer eigenen Hybris, nicht so sein zu wollen, nicht in dieser Weise den Spiegel vorgehalten bekommen zu wollen? Ich weiß es nicht. Ja und nein, denke ich. Einige fühlen sich sicherlich „ertappt“ und mögen es deshalb nicht, andere sind vielleicht wirklich anders und verhalten sich anders und möchten sich anders verhalten. Oder einfach daran glauben, dass es anders geht und es versuchen. Aber das allein hat ja schon genug Tragik, wenn man die Prämisse zugrunde legt, dass das nicht geht – und diese Tragik bietet erneut Grund, solches Verhalten trefflich zu persiflieren!

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