Macht als zentrale Wirkkategorie des zwischenmenschlichen Zusammenlebens

Ich komme immer mehr zu der Ansicht, dass MACHT die zentrale Kategorie ist, die die Dynamik unseres Zusammenlebens beeinflusst. Vielleicht nicht die einzige, aber auf jeden Fall eine sehr entscheidende, prägende. Gunter Lösel nennt das Thema sogar „das größte Tabu unserer Zeit“ (vgl. Gunter Lösel, Theater ohne Absicht, Plannegg: 2004), und ich stimme ihm zu. Wir haben das Ideal, dass alle Menschen gleich sind, und das Ideal von Augenhöhe in persönlichen Begegnungen und Arbeitskontexten. Und das ist auch gut so!! Und gleichzeitig machen wir im Alltag oft die irritierende Erfahrung von Machtspielchen, Machtmenschen und Manipulationen (sei es durch Hoch- oder Tiefstatus-Verhalten – wie das geht, das habe ich an dieser Stelle bereits erörtert).

Woher kommt das? Diese Frage kann ich nicht beantworten, dazu fehlt mir das entsprechende Fachwissen. Ich kann lediglich mutmaßen und meine eigenen Rückschlüsse ziehen… Und hier denke ich, im Sinne der Evolutions-Theorie, dass die Machtgefüge, die wir ja auch bei Tieren (z.B. Hunden, Affen) sehen, irgendeinen evolutionären Sinn haben werden. Dass es eine „Hackordnung“ gibt, scheint evolutionär irgendwie mal Sinn gemacht zu haben, vielleicht, damit Tiere sich beim Verteilungskampf um begrenzte Ressourcen wie Nahrung nicht gegenseitig die Augen auskratzen. Unser Status-Verhalten ist ein Überbleibsel dieses tierischen Erbes, was ja auch die Herleitung von Keith Johnstone ist (vgl. Keith Johnstone, Improvisation und Theater, 10. Auflage 2010, Alexander Verlag Berlin)

Als zweites kommt m.E. hinzu, dass wir alle – d.h. alle Menschen – irgendwann in unserem Leben die zentrale Erfahrung von Ohnmacht gemacht haben, nämlich, als wir Babies und Kleinkinder waren, und wenn es nicht so gut lief, vielleicht sogar auch noch danach. Je nachdem, wie unsere Eltern bzw. nahe Bezugspersonen damals mit uns umgegangen sind, haben wir diese zentrale Erfahrung von Ohnmacht mehr oder weniger ablegen und durch die Erfahrung von Selbstwirksamkeit ersetzen können. Das hat bei einigen Menschen besser, bei anderen nicht so gut funktioniert. Frauke Nees schreibt in ihrem Aufsatz „Improvisationstheater schafft Lust auf Veränderung: innerer Kritiker meets inneren Querdenker“ den schönen Satz „Ego States, die in der Kindheit entstanden sind, reagieren oftmals in der Gegenwart dysfunktional“ – für mich bedeutet das, dass hier Verhaltens- und Denk-Muster am Wirken sind, in denen die zentrale Macht- / Ohnmacht-Dynamik für das Individuum nicht zufriedenstellend aufgelöst wurde (vgl. auch die Bücher von Alice Miller „Das Drama des begabten Kindes“ oder „Am Anfang war Erziehung“). Ohnmachts-Erfahrungen (z.B. während Geiselnahmen oder Vergewaltigungen) gehören mit zu den am schwersten traumatisierenden Erfahrungen, die Menschen machen können.

Und so kommt es – neben dem tierischen Erbe – m.E. dazu, dass Macht und Status (Status bedeutet nichts anderes, als Macht- und Hierarchie-Beziehungen zwischen Menschen auf die Bühne zu bringen) nach wie vor solch großen Einfluss auf uns haben, und dies gleichzeitig so ein großes Tabu ist, wie Gunter Lösel postuliert. Denn es spricht in vielen von uns unangenehme Erfahrungen und Gefühle an – was auch der Grund ist, weshalb Keith Johnstone für diese Dynamik den Begriff „Status“ eingeführt hat. Hätte er offen von Hierarchien oder Machtverhältnissen zwischen Menschen gesprochen, wäre ihm wohl wirklich der Widerstand seiner Schauspielschüler entgegen geweht, wie er selbst ja auch vermutet.

Glücklicherweise haben wir in vielen Staaten der Welt mittlerweile den Grundsatz im Gesetz verankert, dass alle Menschen gleich sind, und dies darüber hinaus in den Menschenrechten formuliert. Alles andere möchte ich mir in Gedanken gar nicht ausmalen.

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