Impro als Parodie zwischenmenschlicher Beziehungsmuster und -dynamiken

Impro-Theater (zumindest das nach Keith Johnstone) nimmt zwischenmenschliche Beziehungen und -dynamiken auf die Schippe. Es parodiert im Grunde zwischenmenschliche (Standard-)Beziehungsmuster und Machtverhältnisse und hat damit etwas Clowneskes (wie bei Charlie Chaplin oder Rowan Atkinson als Mr. Bean). Das macht sich in Sachen wie Status-Arbeit oder auch „Sexy – Stinky – Silly“ bemerkbar, und in der Form „Theatersport“, die das allgegenwärtige Prinzip des „Gewinnen-Wollens“ auf die Schippe nimmt. Aber auch in Übungen von K. Johnstone wie der „Knüppel-Übung“, die eigentlich keinen weiteren Sinn (im Sinne von Impro-Theater) hat, als das Verhältnis von Master + Servant auf die Schippe zu nehmen und umzudrehen, und damit eine Art „Theater der Unterdrückten“ zu sein. Auf diese Weise bekommt das Johnstone’sche Impro-Theater etwas Anarchisches, Aufwieglerisches. Diese Schiene läuft im Johnstone’schen Ansatz die ganze Zeit mit, neben dem eigentlichen Inhalt der Szene und der Form des Games. Sie ist quasi eine Art Meta-Inhalt oder eine Meta-Schiene.

Dabei hat Impro neben dem lachenden, augenzwinkernden Auge auch immer ein bisschen das empathische, weinende Auge dabei, wenn man z.B. bei Sexy – Stinky – Silly sieht, wie ausgerechnet die angebetete Person dem Avancen-machenden Spieler nur die kalte Schulter zeigt. Es wertet damit diese Mechanismen und Verhaltensweisen nicht einfach nur ab (wie politisches Kabarett das z.B. mitunter tut), sondern zeigt gleichzeitig Empathie für die realen Menschen, die in diesen Mechanismen – ob sie wollen, oder nicht – feststecken.

Um mit diesen Sachen, wie z.B. Status, spielerisch auf der Bühne umzugehen, bedarf es einer spielerischen Haltung. D.h. ich „muss“ meinem Mitspieler vertrauen, dass auch er die allgegenwärtigen Mechanismen des „Gewinnen-Wollens“, „Rechthaben-Wollens“ und „(andere und die Situation)-bestimmen-Wollens“, die wir alle aus dem Alltag kennen, ablegt und spielerisch mit diesen und mit mir umgeht. Dass die „Macht-Verhältnisse“ (Status-Verhältnisse), die wir auf der Bühne darstellen, eben nicht ernst zu nehmen sind, sondern spielerisch, dass wir sie eigentlich in „verschwörerischer“ Weise gemeinsam auf die Schippe nehmen. Dass es nicht darum geht, wer wirklich Macht (= den höheren Status) hat, und es deshalb auch okay ist, wenn ich mich spielerisch in den niedrigen Status begebe – und es genauso okay ist, wenn ich mich spielerisch in den höheren Status begebe, und den Mitspieler „torture“. Die Spielenden lassen für diesen Moment ihren „Schutz“ (echtes Status-Verhalten außerhalb der Bühne) hinter sich und lassen damit wirkliche, echte Nähe zu. Im Prinzip verhalten sie sich in der Weise, die Keith Johnstone als charakteristisch für echte Freundschaften benennt: Sie gehen gegenseitig spielerisch mit ihrem Status um, diese Dimension spielt für ihre gemeinsame Zeit keine Rolle.

Es ist in dem Sinne ein Joke, ein Spiel eben. Wir nehmen diese im echten Leben oft realen zwischenmenschlichen Machtverhältnisse auf die Schippe und halten somit auch immer der Gesellschaft den Spiegel vor. Gleichzeitig hat es für die Spieler damit etwas unglaublich Befreiendes (wenn diese Dinge einmal keine „ernsten“ zwischenmenschlichen Konsequenzen haben und ich damit rumspielen kann), und für die Zuschauer etwas sehr Katharsisches. Ihnen wird ein Spiegel vorgehalten, über den sie lachen können – die Absurdität menschlichen Handelns im Alltag. Für die Spielenden ist es ein Rollenspiel, nur eben nicht mit konkreten Rollen, sondern mit den allgegenwärtigen „Meta-Rollen“ des Über- und des Unterlegenen, des Gewinners und des Verlierers (wie bei der Clown-Arbeit auch). Und im Spiel hat dies keine Konsequenzen, und gleichzeitig kann ich mich in allen diesen Rollen ausprobieren, sie ins Extrem oder Absurde führen, abwandeln, umbiegen usw.*

Andere Varianten von Impro-Theater haben sich anders oder auch davon weg entwickelt, machen sich ähnliche Prinzipien des Zusammenspiels und Grund-Mechanismen zunutze, sind jedoch ernster (Ziel ist nicht, unsere teils abstrusen, teils nach wie vor sehr animalischen – und wenig „vernünftig“, zivilisatorisch anmutenden – menschlichen Verhaltensweisen auf die Schippe zu nehmen). Aber das ist, wie ich Johnstone lese und wie ich verstehe, was sein Anliegen ist.

 

* Eigentlich etwas, das schon Kinder tun müssten, um auf die „soziale“ – im Sinne von zwischenmenschliche – Realität des Lebens vorbereitet zu werden. Nun gut, so tun wir es als Erwachsene eben – das ist der Teil, den viele Impro-Spielenden als „therapeutisch“ empfinden: diese spielerische Herangehensweise an ein Thema, dem wir alle in der „echten Welt“ nicht entfliehen können, schafft eine herrliche, oft humoristische Distanz zu Themen, die sonst über-präsent im eigenen Innenleben werden können, und hierauf beruht ein Teil des therapeutischen Effekts.

 

Anmerkung: Ich beziehe mich in diesem Artikel weniger auf die Inhalte, die ich aus Johnstones Büchern kenne als vielmehr auf meine persönlichen Eindrücke, die ich während eines Workshops bei ihm als Hörerin gewonnen habe.

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3 thoughts on “Impro als Parodie zwischenmenschlicher Beziehungsmuster und -dynamiken

  • By Natalie Arsalan - Reply

    liebe Claudia, die Überschrift hat mich zunächst skeptisch gestimmt, da es zunächst für mich so klang, als ob wir als Spielende Emotionen und Beziehungen in einer Weise parodieren, die impliziert, dass wir menschlich niemanden für voll nehmen. Und bin jetzt sehr angetan von deinem Gedankengang, dass wir spielerisch Beziehungsmuster offenlegen, in einer über das Persönliche hinaus weisenden Art.
    Wenn es nämlich gut läuft, und die Spieler sich nicht weigern, in einer Statusszene die Gefühle von „Ohnmacht“ oder „Dominanz“ zuzulassen, erleben Zuschauer als auch beim Spielenden ein Gefühl von Freiheit und Verbundenheit: Sich nicht allein mit den zuweilen im echten Leben als einigermaßen schmerzhaft erlebten Herabsetzungen und Statuskämpfen fühlen zu müssen, und die Rollen als Rollen enttarnt zu erleben…
    Vielen Dank für deine, immer interessanten, Reflektionen. Ich finde das wichtig, dass es eine Kultur des Schreibens über Impro gibt! Liebe Grüße Tash

    • By Claudia - Reply

      Liebe Tash, ja ganz genau darum geht es mir – um das Offenlegen von Beziehungsmustern, die eigentlich allgegenwärtig sind, aber über die kaum jemand spricht oder zu sprechen wagt (Gunter Lösel nennt das Thema „Status“ das große Tabu unserer Zeit, und ich stimme ihm voll zu). Viel schlimmer noch: diese zwischenmenschlichen Mechanismen von Dominanz, Macht und Ohnmachtsgefühlen prägen uns m.E. weit tiefer, als uns eigentlich bewusst und lieb ist – und das nicht nur in der frühen Kindheit. Es gibt kaum einen Weg, dem zu entfliehen, außer eben, damit spielerisch umzugehen und durch die Distanz, die man durch diesen spielerischen Umgang gewinnt, diese Muster offen zu legen (vor allem für die Zuschauenden). Ich denke, „Spiel“ als Therapie ist ohnehin eine sehr wirkungsvolle Methode, und noch wirkungsvoller wird sie, wenn wir mit den Sachen spielen, die uns krank machen.

  • Pingback: Back to the roots - Impro Theater nach Keith Johnstone – Claudia Hoppe

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