Mein idealer Coach

Ich weiß nicht, wie es Euch geht, aber ich habe im Laufe der letzten ca. zehn Jahre mit einigen Coaches zusammen gearbeitet, vielleicht könnte man auch sagen: Einige Coaches verschlissen. Dabei war ich sehr lange (über fünf Jahre) bei einer Person, meinem allerersten Coach, und das hat mich sehr geprägt. Einige würden vielleicht sogar sagen, dass unser Coaching-Prozess eher einer Therapie gleich kam – aber was da so genau die Unterschiede sind, erschließt sich mir ehrlich gesagt eh nicht so. Erfrischend und einleuchtend finde ich da die Perspektive, die Noni Höfner + Lotte Cordes z.B. haben, die diesen Unterschied nämlich auch nicht machen.

Ohne diese Vorarbeit hätte ich es sicher nicht gewagt, meinen sicheren und gut bezahlten Job bei HERE zu kündigen und in die Ungewissheit der Selbstständigkeit zu springen. Irgendjemand (ich erinnere mich leider nicht mehr, wer es war) hat mal augenzwinkernderweise zu mir gesagt, dass bei einem Coaching Leute entweder aus ihrem Job oder aus ihrer Beziehung „raus gecoacht“ werden. Nun, in meinem Fall stimmt das auf jeden Fall… Wobei ich dazu sagen muss, dass ich am Anfang auch mit genau diesem Thema in den Coaching-Prozess rein gegangen bin: ich war mit meiner beruflichen Situation unzufrieden und hatte keine Idee / keinen Plan, wo die Reise hin gehen soll. Und in jedem Fall kann ich sagen, dass ich aus diesen fünf Jahren sehr viel mitgenommen habe.

Seitdem habe ich nicht nur immer wieder mit verschiedenen Coaches zusammen gearbeitet und so einiges an Erfahrungen gesammelt, was mir gefallen bzw. was mir nicht gefallen hat, sondern über Netzwerkveranstaltungen auch diverse Kollegen aus dem Coaching-Bereich kennen gelernt, von denen mir einige leider immer wieder vor Augen führen, wie man es m.E. besser nicht macht, mit dem Coaching…  All diese Erfahrungen haben mich sogar dazu inspiriert, zusammen mit Andi (der auch als Coach arbeitet) ein Impro-Format zu kreieren, in welchem wir unsere schlimmsten Albtraum-Coaches auf die Bühne bringen.

Nun hier aber eine Liste der Dinge, die ich mir von einem Coach wünsche:

Er soll mich nicht mit meinen schlechten Gefühlen alleine oder nach Hause gehen lassen.

Dies ist mir leider letztens erst wieder passiert. Mir ging es am Ende der Sitzung ziemlich beschissen. Mit diesem Gefühl bin ich nach Hause gegangen und es hielt noch einige Stunden an. Ich weiß nicht, wie ihr es seht, aber sollte ein Coaching nicht eher dazu dienen, mich nicht unbedingt mit einem schlechteren Gefühl zu entlassen als mit dem, mit dem ich gekommen bin, mich eher meiner Stärken zu versichern als meiner Schwächen? Argument des Coaches war, dass hier „systemisch“ gearbeitet wird und der Klient selbst seine Erlebnisse bewertet und interpretiert (siehe nächster Punk).

Ich komme ja vielleicht genau mit dem Thema dahin, dass meine Bewertung & Interpretation häufig so negativ ist und mich runter zieht, und brauche hier genau einen Perspektivwechsel oder erhoffe mir Input vom Coach, genau das zu verändern. Um mich schlecht zu fühlen, muss ich nicht zu einem Coach gehen, insbesondere, weil hier ja i.d.R. viel, teilweise sehr viel Geld für die Sitzung bezahlt wird. Dies führt direkt zum nächsten Punkt:

Mich nicht mit meiner Erfahrung (open for interpretation) allein lassen.

Es gibt das Argument, der Klient ist der Experte für sein Problem und bringt die Lösung bereits mit. In meinem Fall (s.o.) war es so, dass das Thema, das hier in einer Art Aufstellung zur Sprache kam, mir bereits wohl bekannt ist, und es mir peinlich ist. Ja, meine „Themen“ sind mir peinlich, und es ist mir peinlich, dass mir meine Themen peinlich sind. So wurde ich letztens mit meiner Scham und meiner Verwundbarkeit einfach nach Hause geschickt, nach dem Motto: Komm selbst damit klar, das nennt sich „systemisch“.

Ich verstehe den Sinn und die Idee hinter diesem Vorgehen; es soll eine Irritation beim Klienten hervor gerufen werden, so dass er in seinen gewohnten Denkmustern erschüttert wird. Beim „provokativen“ systemischen Ansatz finde ich dieses Vorgehen ausgesprochen großartig, denn hier wird gleichzeitig viel gelacht und die scheinbar mächtigen Antreiber und Glaubenssätze des Klienten werden entmachtet, weil der Klient plötzlich ihre Absurdität und „Lustigkeit“ sieht, weil er erkennt, wie witzig es doch ist, dass er die Marionette dieser Glaubenssätze ist. Beim „normalen“ systemischen Ansatz fehlt genau diese Komponente und ich werde mir nur um so mehr schmerzhaft darüber bewusst, welche Macht diese Antreiber und Glaubenssätze über mich haben – was zu noch mehr Scham, Wut und Hilflosigkeit führt. Ich wage zu bezweifeln, dass diese Methode /  dieses Vorgehen so hilfreich ist… Muss man wirklich dorthin gehen, wo der Schmerz sitzt, um seine Themen zu bearbeiten?

Mit mir reden, austauschen, mir Impulse geben und mir einen Perspektivwechsel ermöglichen – keine komischen Formate mit offenem Ausgang / offener Interpretation.

Wenn ein Coach ein bestimmtes Format mit mir macht, dann wünsche ich mir auch bestimmte Impulse für die Interpretation desselbigen. Ansonsten stehe ich oft wie Schwein vorm Uhrwerk und habe das Gefühl, der Coach weiß ganz genau, was er hier sieht, teilt seine Interpretation aber nicht mit mir – aber dennoch wirkt diese unbewusst weiter, auch von Seiten des Coaches. Das fühlt sich dann manchmal auch wie so ein blödes Machtspielchen an, und solche sollten im Coaching m.E. keinen Platz haben.*

Weshalb ich zu einem Coach gehe ist ja, dass ich mich auf „professioneller“ Ebene mit jemand über meine Themen austauschen möchte. Ich stecke irgendwo fest und brauche neue Impulse von außen, um weiter zu kommen oder aus einer Gedankenspirale raus zu kommen. Mir diese Impulse nicht geben, das kann ich auch alleine. Ich treffe mich ja gerade mit jemanden und bezahle viel Geld für diese Treffen, um solche Impulse zu bekommen, die Partner und Freunde mir nicht geben können. Ich möchte zwar einerseits die „neutrale Perspektive“ des Coaches, und gleichzeitig möchte ich niemand, der die ganze Zeit nichts sagt.

Einen „Sparringspartner“.

Ganz genau. Das ist die Rolle, die ich in einem Coach sehe. Einen unvoreingenommenen Sparringspartner für meine Themen, für dessen Impulse und Input ich viel Geld bezahle.

Nicht so distanziert / unnahbar sein.

Distanziertheit / emotionale Nicht-Involviertheit mag zwar professionell sein, aber ich mag es nicht. Ich habe dann das Gefühl, es mit einer Art „neutralem“ Coaching-Roboter zu tun zu haben. Das „Erwachsenen-Ich“ aus der Transaktionsanalyse wird in diesem Kontext viel gepriesen, aber ich frage mich, ob es hier immer und uneingeschränkt hilfreich ist, und nicht die emotionalen Anteile des Coaches auch eine wichtige Rolle im Prozess spielen (sollten). Zumindest hin und wieder.

Keine ungefragten Ratschläge geben, aber Ratschläge geben, wenn ich welche möchte.

Ein Klassiker. In meiner ersten Coaching-Sitzung lernte ich das geflügelte Wort „Auch Ratschläge sind Schläge“ kennen, aber tatsächlich ist das nur allzu wahr. Das trifft natürlich insbesondere auf Coaching-Kontexte zu.

Auf der anderen Seite: Manchmal bin ich ratlos und habe mich verrannt, weiß nicht, welche Optionen ich habe und was ich machen kann. In solchen Situationen bin ich für einen Ratschlag sehr dankbar. Dennoch sollten Coaches m.E. das Mittel der Ratschläge nur SEHR, SEHR sparsam und äußerst selten und sorgfältig einsetzen.

Mir nicht meine „Themen“ immer und immer wieder auf dem Butterbrot servieren – das ist keine Lösung.

Ich war vor einiger Zeit in einem Coaching, in dem es die ganze Zeit darum ging, was ich noch nicht kann und was ich noch nicht mache, damit ich mir selbst weniger Stress mache. Dies haben wir sogar verschriftlicht und ich habe es mir an die Wand gehangen. Was das bewirkt hat? Ich wurde permanent an meine „Themen“, an meine Unzulänglichkeiten erinnert. Ich weiß, dass in diesem Fall die verschriftlichen Sätze den Charakter von „Erlaubnissen“ haben und mir Stress und Druck nehmen sollten – tatsächlich hat das immer wieder Lesen dieser „Erlaubnisse“ mich jedoch permanent daran erinnert, was ich alles noch nicht mache, obwohl ich es doch eigentlich machen sollte, und das war nicht etwas, das mir Kraft gab und mich aufgebaut, sondern das komplette Gegenteil bewirkt hat. Das Ganze hat meinen Stress eher noch verstärkt.

Mir nicht das Gefühl geben, dass ich so viele Themen habe → erzeugt Scham und Gefühl von Verwundbarkeit – ich mag mich dann nicht öffnen.

Dies schließt an das obige Thema an – einige Coaches haben es sehr gut drauf, einem subtil immer wieder zu vermitteln, dass man ein ganzes „Themenbündel“ ist. Wenn ich dieses Gefühl bei einem Coach habe, mache ich relativ schnell zu, denn das ist nicht hilfreich.

Mir helfen, meine Themen aufzulösen oder meinen Frieden damit zu machen.

Dies ist für mich der wichtigste Punkt überhaupt und in meinen Augen das Kerngeschäft eines Coaches: Er soll mir entweder helfen, meine „Themen“ (z.B. Glaubenssätze, Antreiber usw.) aufzulösen, oder, wenn das aus welchen Gründen auch immer nicht funktioniert, mich darin unterstützen, meinen Frieden mit selbigen zu machen.

Mich nicht für dumm oder unreflektiert halten bzw. mich so behandeln.

Dies ist eine Erfahrung, die ich häufig mit Coaches mache, die ich auf Netzwerkveranstaltungen kennen lerne. Der Coach geht mit einer Haltung ins Gespräch, in der er von oben herab suggeriert, dass er total den Plan hat und ich kleines Dummerle überhaupt nicht. Was ich glaube, was das bewirken soll ist, dass er eine „Kostprobe“ seines Könnens geben will, als Verkaufsargument. Aber das funktioniert nicht. Das fühlt sich abwertend und respektlos an. Wenn er wirklich etwas verkaufen will, sollte er sich – und hier muss ich mal das Konzept aus dem Impro bemühen – im Tiefstatus dem potentiellen Klienten nähern, ihm Status und damit ein gutes Gefühl geben.

Mich ernst nehmen und nicht für doof verkaufen.

Schließt direkt an den vorigen Punkt an. Häufig habe ich das Gefühl, ich werde hier von Coaches für blöd verkauft, während sie sich positionieren, als hätten sie die Weisheit mit Löffeln gefressen haben und ich müsse nur ausreichend Geld bezahlen, um von ihrer unendlichen Weisheit und Erfahrung profitieren zu können.

Nicht sich als der Allwissende hinstellen und von oben herab coachen (mansplaining).

Auch das ist im Grunde nochmal das Gleiche, wie die beiden Punkte davor. „Mansplaining“ deshalb, da ich dieses Verhalten häufiger bei männlichen Coaches beobachte, als bei weiblichen.

Mir keine komischen Lösungen vorschlagen, die nicht zu mir passen (sondern zum Coach).

Auch ein Klassiker. Natürlich möchte der Coach nur das Beste. Deshalb macht er manchmal Vorschläge (für Handlungen, Verhalten), die für ihn total gut gepasst haben. Aber deshalb müssen diese nicht zu mir passen. Vorschläge finde ich okay, aber ein Coach sollte die Kunst beherrschen, diese so offen zu formulieren, dass der Klient sich in der Tat nicht genötigt fühlt, diese zu befolgen.

Keine Do’s und Don’t’s suggerieren.

Ich habe so unglaublich viele Do’s und Don’t’s mit aus meinem Coachings genommen, dass ich irgendwann gar nicht mehr ich selbst war. Ich hatte das Gefühl, so viele Regeln (im zwischenmenschlichen Umgang, in der Kommunikation) befolgen zu müssen, dass ich überhaupt nicht mehr ich selbst war. So habe ich bis heute ein Problem damit, ungefragt meine Meinung zu sagen, geschweige denn, Ratschläge zu erteilen (Stichwort: Jeder Ratschlag ist ein Schlag). Außerdem hatte ich lange das Gefühl, dass ganz ganz viel mit mir nicht in Ordnung ist – vom Sicherheitsbedürfnis über Schüchternheit bis ich weiß nicht was. Viele dieser Dinge habe ich meinen Coaches oder auch Ausbildern (ich habe ja selbst die eine oder andere Coaching-Ausbildung gemacht) quasi in den Mund gelegt, habe ich im Nachhinein gemerkt. Ich habe es irgendwann „mein selbst-auferlegtes Evangelium“ genannt, und meine Fresse, das ist mächtig einschränkend. Aber wenn so etwas passiert und man dem Coach solche Sätze zuschreibt, ist es m.E. unerlässlich, dies in der Sitzung zum Thema zu machen.

„Normal sein“ und sich nicht komisch esoterisch verhalten.

Manche Coaches sind sehr „sphärisch“ und „esoterisch“ unterwegs, als hätten sie eine Verbindung zu irgendeinem übergeordneten Wesen oder Wissen, das sie speist. Manchen Menschen mag dies helfen und das ist ja auch vollkommen okay (wer heilt, hat Recht) – mich törnt das voll ab.

Auch mal über eigene Dinge „plaudern“, Anekdoten aus dem Leben erzählen usw.

„According to the book“ ist dies sicherlich etwas, das „man“ als guter Coach nicht machen sollte – aber ich finde es sehr schön und genieße es total,  wenn ich erlebe, dass mein Coach auch Mensch ist, dass er auch ein Leben hat und Dinge, die ihn beschäftigen – und wenn ich zum Einstieg oder beim Gehen mit ihm über diese Dinge plaudern kann. Oder wenn er im Coaching-Prozess Beispiele aus seinem eigenen Leben zitiert und heran zieht, die zum aktuellen Thema passen. Für mich schafft das Vertrauen oder eine Verbindung, oder im NLP würde man sagen: Rapport.

Soll mir helfen, blinde Flecken aufzudecken, ohne, dass ich mich für diese blinden Flecken schäme.

Nach dem Punkt „Mir helfen, meine Themen aufzulösen oder meinen Frieden damit zu machen“  (s.o.) ist dies m.E. die wichtigste Aufgabe eines Coaches. Sicherlich könnte man argumentieren, dass dies doch eigentlich die Aufgabe von Freunden und Familie ist – aber häufig passiert dies eben nicht, bzw. wenn dann auf eine sehr wenig hilfreiche und unwertschätzende Weise („Immer machst Du XYZ!“) Der Coach ist Profi im Feedback-Geben oder sollte es zumindest sein, und deshalb dem Klienten m.E. auch helfen, auf eine gute Weise seine blinden Flecken zum Vorschein zu bringen, ohne dass dieser sich dafür schämt.

Zeitlich gesehen geht das Aufdecken der blinden Flecken dem Punkt „Themen auflösen oder Frieden damit machen“ natürlich sogar noch voran.

Insgesamt bin ich der Meinung, dass viele dieser Verhaltensweisen nicht nur in einem Coaching-Kontext hilfreich und nützlich sind, sondern eigentlich generell Leitlinien für einen guten, zwischenmenschlichen Kontakt sind.

Was denkt Ihr hierüber? Wie sind Eure Coaching-Erfahrungen? Was hat Euch geholfen bzw. was findet Ihr ganz schrecklich?

 

*Mein Thema, das ich hier mitbringe? Mag sein. Meine Projektion auf den Prozess, die Beziehung zum Coach? Mag sein. Aber selbst das sagt mir ja etwas darüber, wie wohl ich mich bei diesem Coach fühle und wie gut unser Draht zueinander ist – nämlich offenbar nicht besonders gut. Und dann sollte ich es vielleicht in so einem Fall auch lassen, mit so einem Coach weiter zusammen zu arbeiten. Die andere Möglichkeit ist: offen ansprechen, thematisieren. Wenn dann lediglich zurück kommt, es wäre mein Thema und meine Projektion auf die Situation, Beziehung usw. und der Coach hat gar keinen Anteil daran, dann würde ich die Coaching-Beziehung an dieser Stelle abbrechen, denn hier nutzt jemand m.E. ganz klar seine Machtposition aus. Sollte der Coach jedoch ein offenes Ohr dafür haben und genau das zum Thema des Gesprächs machen, ohne mir zu suggerieren, dass die Verantwortung für diese Interpretation der Situation alleinig bei mir liegt, dann sind wir, denke ich, auf einer guten und offenen und freundlichen und wertschätzenden Ebene zueinander unterwegs. Ein Coach sollte m.E. ja eben nicht dazu beitragen, meinem Gefühl hier zu misstrauen („Das bildest Du Dir ein, das ist alles Dein Thema“) sondern im Gegenteil, diese Gefühle mit mir anschauen, ernst nehmen und darüber sprechen.

 

 

Flattr this!

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *
You may use these HTML tags and attributes: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>