Wo die Angst ist, geht’s lang

Ich habe neulich den Fernsehfilm „Sörensen hat Angst“ mit Bjarne Mädel gesehen, in dem es um einen Hamburger Hauptkommissar geht, der sich wegen einer Angststörung aufs platte Land versetzen lässt um dort am ersten Tag seines Schaffens bereits mit einem krassen Fall konfrontiert zu werden. Und auch, wenn mir der Film nicht gefallen hat, so ist mir doch der Satz „Wo die Angst ist, geht’s lang.“ im Kopf hängen geblieben. Dieser Satz war lange Zeit mein Credo in meinem eigenen Leben… Man hört ihn immer wieder in verschiedenen Variationen, und auch im Impro geht es ja ständig darum, seine eigene Komfortzone zu verlassen (bzw. wird das gefordert). Ich habe mir das zum Lebensmotto gemacht und geglaubt, ich müsse immer dahin gehen, wo die Angst ist, und noch ein Stück weiter. Dies hat dazu geführt, dass ich irgendwann „völlig außer mir“, im wahrsten Sinne des Wortes war. Ich war so oft so sehr außerhalb meiner Komfortzone, dass ich irgendwann gar nicht mehr wusste, wo die diese eigentlich ist! Ich war kopflos, nicht mehr bei mir, nicht mehr in meiner Mitte, nicht mehr mit mir verbunden. Weil ich nur noch dabei war, mich zu irgendwas zu überwinden, vor dem ich eigentlich Angst hatte, und meine Komfortzone zu verlassen.

Und ich habe viel Angst, wahnsinnig viel. Schon meine Oma hat (seit ich mich an sie erinnern kann) das Haus nur noch in Begleitung meines Vaters oder meines Onkels verlassen – aus Angst, weil ja draußen so viele schlimme Dinge passieren. Und auch meine Mutter macht sich ständig wegen irgendwas Sorgen. „Angst“ ist also ein Thema in meiner Familie. Ein Grund mehr für mich, aus einem rebellischen Impuls heraus immer „gegen“ die Angst gehen zu wollen, oder zu glauben, gegen die Angst gehen zu müssen.

Ein berühmtes Modell sagt, es gibt die Komfortzone, die Lernzone und die Panikzone. Roland Trescher spricht auch von der „Stretch-Zone“, in der Lernen stattfindet. Ich war definitiv oft außerhalb der Stretch-Zone und in der Panikzone, was ich mit krassen körperlichen und psychosomatischen Symptomen bezahlen musste. Wie gesagt: Ich habe heute das Gefühl, ich war so dermaßen oft außerhalb meiner Komfortzone, dass ich irgendwann gar nicht mehr wusste, wo diese eigentlich ist.

Am krassesten und heftigsten musste ich meine Angst überwinden, als ich vor gut fünf Jahren meinen Job gekündigt habe und mich mit dem Unterrichten von Impro-Theater selbstständig gemacht habe. Aus Sicht Außenstehender gab es damals für mich keinen Grund, diesen Job aufzugeben – „Das ist doch super, da bist Du sicher bis zur Rente.“ und dergleichen hörte ich. Bei dieser Vorstellung schnürte sich mir jedoch innerlich die Kehle zu. Dieser Schritt in die Selbstständigkeit war für mich mit unfassbar viel Angst verbunden, und gleichzeitig hatte ich in dieser Zeit wenig psychischen und emotionalen Rückhalt. Die meisten um mich herum haben nicht verstanden, wie ich einen „so schön sicheren“ Job nur aufgeben konnte. Die Reaktion, die ich am häufigsten bekam war: „Bist Du Dir sicher, dass Du das wirklich machen willst???“ – was die Angst auf meiner Seite nicht gerade gemindert hat. Gleichzeitig erntete ich Unverständnis, wenn ich sagte, ich habe solche Angst vor diesem Schritt, warum ich das denn überhaupt tun müsse, INSBESONDERE WENN ich so viel Angst davor habe. Ich glaub, ein paar Leute waren auch einfach neidisch, dass ich den Mut aufbrachte, diesen Schritt zu gehen, den sie vielleicht auch gern gegangen wären, wer weiß.

Ich merkte erst viel viel Zeit später, dass dies die Angst der Leute war, die hier mit mir sprachen. Und ich habe verstanden, dass ich diese Angst bei den Leuten lasse, und mir nicht „anziehe“ und zu meiner eigenen Angst aufaddiere und mit meiner eigenen Angst vermische, wie ich es damals tat. Auch jetzt noch kommen immer wieder Leute zu mir und wollen mich „in die Sicherheit“ einer Festanstellung bringen. Sie können nicht verstehen, dass jemand sich freiwillig in solch eine unsichere Lage begibt bzw. begeben hat.

Würde ich es wieder tun? Ja, auf jeden Fall. Ist mein Weg der beste Weg? Nein, definitiv nicht. Denn er hat zwei krasse „Nebenwirkungen“: Einerseits bin ich, wie gesagt, wirklich so sehr gegen und über meine Angst gegangen, dass ich buchstäblich „völlig außer mir“ war, „ex-zentrisch“, könnte man sagen, außerhalb meines Zentrums, meiner Mitte, nicht mehr mit mir verbunden – sondern irgendwo drumrum, kopflos, konfus, schwindelig. Zum anderen ist ein Thema, das ich nach wie vor habe, dass ich mit der Angst anderer – besonders mit solcher Angst, die ich für unbegründet oder unsinnig halte – schwer umgehen kann. Ich merke, diese Art Angst macht mich nach wie vor aggressiv, ich verstehe sie nicht, kann sie nicht nachvollziehen – weil ich mich eben selbst so angepeitscht und überwunden und mir keine Angst gestattet hab, fällt es mir schwer, sie anderen zu gestatten. Die ist ein Entwicklungsfeld, an dem ich weiter arbeiten will. Ich glaube, erst wenn es mir gelingt, die Angst anderer (und damit natürlich auch immer meine eigene) auszuhalten und da sein zu lassen, habe ich mit dem Thema Angst wirklich meinen Frieden gemacht.

Flattr this!

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *
You may use these HTML tags and attributes: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>