Status & Drama-Dreieck

So. Es wird Zeit, diesen Blogartikel zu schreiben, der seit nun schon bestimmt einem halben Jahr in meinem Bewusstsein gärt, bevor er völlig überreif und nicht mehr genießbar ist. Wie so häufig kamen die letzten, ausschlaggebenden Impulse von außen, u.a. von Sarah Bansemer, mit der ich mir ab sofort den Impro-Morgen im Meeet teilen werde. Sarah ist Expertin für das Thema „Status“, und auch in diesem Artikel soll es um „Status“ (der Begriff aus dem Impro-Theater, den Keith Johnstone einst prägte – eine recht gute Zusammenfassung dazu findet sich im ImproWiki) gehen. Und auch noch einmal um ein Modell aus meiner geliebten Transaktionsanalyse (TA): Dem Drama-Dreieck! Diese beiden ergänzen sich nämlich auf wundersame Weise ganz herrlich.

Aber von Anfang an: Ich habe beobachtet, dass immer, wenn ich das Thema „Status“ unterrichte, bei den Teilnehmern so eine Art unausgesprochener „Bias“ existiert, dass der Hochstatus irgendwie besser, erstrebenswerter, vielleicht weil selbstwirksamer sei. Und auch ich schleppte diese Ansicht lange Zeit in meinem Kopf mit mir herum. Die Erklärung, die ich selbst dafür habe, ist, dass in unserer aktuellen, westlichen Gesellschaftsordnung Macht als etwas sehr Erstrebenswertes gilt (wahrscheinlich war das auch schon immer so, aber egal). Und das Bild, das mit „Macht erlangen“ verbunden ist, ist das einer souveränen Person, einem „Macher“, der sich nicht nur gegen andere und Impulse von außen abgrenzt, sondern diese, wenn es nötig ist, auch unterbuttert oder sogar unterdrückt. Jemand, der mit der Faust auf den Tisch hauen, eine Ansage machen und sich durchsetzen kann. Jemand, der machen kann, dass andere etwas machen, was er möchte (andere kontrollieren kann – denn wir alle streben immer wieder nach Kontrolle, das gibt uns ein Gefühl von Sicherheit). Oft wird dies gleichgesetzt mit der Formel: Hochstatus = aktiv, Tiefstatus = passiv. Und in gewisser Hinsicht ist das auch zutreffend. Aber das heißt keineswegs, dass der Tiefstatus nicht auch sehr schön andere Menschen nach seiner Pfeife tanzen lassen kann, wenn er möchte.

Keith Johnstone, der sich das Status-Konzept ausgedacht hat (oder es zumindest als einer der ersten unter dem Begriff „Status“ niedergeschrieben hat – Korrekturhinweise hierauf nehme ich gerne entgegen) meint, sowohl Hoch- als auch Tiefstatus seien im Grunde Verteidigungsstrategien. Der Hochstatus, indem er suggeriert: „Komm‘ mir nicht zu nah, oder ich beiße!“ und der Tiefstatus, indem er suggeriert „Beiß mich nicht, ich bin es nicht wert!“ (nachzulesen in Keith Johnstone, Improvisation und Theater, 10. Auflage 2010, Alexander Verlag Berlin, Seite 51 ff.). Gleichzeitig sagt Johnstone, dass Status immer „passiert“, sobald Menschen zusammen treffen. Das hieße ja eigentlich, dass Menschen, sobald sie auf andere Menschen treffen, permanent in einer Verteidigungshaltung sind.

Und obwohl ich glaube, dass Statusverhalten auch der Verteidigung dient, möchte ich nicht glauben, dass Menschen permanent in einer Verteidigungshaltung sind. Das wäre auch viel zu anstrengend. Viel eher glaube ich, dass Statusverhalten der Manipulation dient. Beim Hochstatus, indem er direkt „Gewalt“ ausübt, Ansagen macht und dominant ist – tja, und beim Tiefstatus, indem er sich bedürftig gibt und damit andere zur (ungefragten) Hilfe animiert.

Hier kommt nun das Drama-Dreieck ins Spiel, denn dort gibt es diese wunderbare Position des „Opfers“, welches durch sein Verhalten dafür sorgt, dass ihm ein „Retter“ (häufig ungefragt) zur Hilfe kommt. In der TA läuft dies auch unter der Überschrift „Manipulative Spiele“. Generell geht es in der Transaktionsanalyse (wie in vielen anderen psychologischen Theorien) auch um das Thema „Passivität“ und um Strategien, wie Menschen bei größtmöglichem eigenen Nichtstun andere dazu bekommen können, etwas für sie zu tun (also ebenfalls über andere Kontrolle ausüben können). Und eine wunderbare Strategie dazu ist eben die des hilflosen, sich wert- und wehrlos gebenden Opfers – einem Tiefstatus eben. Es ist also keineswegs so, dass das Attribut „aktiv kontrollierend“ nur am Hochstatus klebt, und das Attribut „passiv hinnehmend“ am Tiefstatus. Es gibt Tiefstatus-Verhalten, das andere sehr gut und sehr subtil „schicken“ und herumkommandieren kann, ohne dass diese anderen das notwendigerweise merken. Mitunter sind diese Verhaltensweisen m.E. sogar so sehr in Fleisch und Blut übergegangen, dass fraglich ist, ob eine Person tatsächlich niedergeschlagen, deprimiert agiert und sich unterlegen bzw. als Opfer fühlt, oder ob dieses Verhalten in der Vergangenheit bestimmte „Vorteile“ (nämlich den sog. „Sekundargewinn“) für diese Person hervor gebracht hat (z.B. in Form von Zuneigung, Mitleid, Hilfestellung, Arbeitsabnahme), dass sie es selbst gar nicht erkennt, dass dies eigentlich eine unbewusste Strategie zur Erlangung solcher Ziele ist.

Interessant ist in diesem Kontext auch noch einmal die Unterscheidung zwischen „positivem“ und „negativem“ Hoch- bzw. Tiefstatus. Die oben skizzierten Verhaltensweisen fallen eher unter die „negativ“-Kategorie. Denn der positive Hochstatus unterdrückt nicht und übt keine Gewalt auf andere aus, um sie zu beeinflussen, sondern zeigt Fürsorge und echtes Interesse an seinen Mitmenschen. Sehr geprägt hat mich in diesem Kontext ein Satz von Lee White, der in einem Workshop, den ich vor ein paar Jahren bei ihm gemacht habe, sagte: „Glückliche Menschen [und er meinte, zufriedene, selbst-kontemplative Menschen – der Verf.] sind meist im Tiefstatus.“ Ich denke, das stimmt. Sie sind ein Beispiel für einen positiven Tiefstatus. Kleine Randnotiz hierzu: Wenn mit dem Glück bzw. der Zufriedenheit der Tiefstatus einher geht – warum versuchen so viele Menschen dann stets, in den Hochstatus zu kommen? Und wie ist es um den Dalai Lama bestellt – positiver Tiefstatus oder positiver Hochstatus? Und wie und wo grenzt sich in so einem Fall positives Hoch- gegen positives Tiefstatus-Verhalten ab? Kann man das überhaupt immer so eindeutig benennen? Und ist das überhaupt wichtig? Und wenn ja, wofür?

In der Unbeantwortbarkeit dieser Fragen zeigt sich für mich wieder das eigentlich Interessante und Erstrebenswerte am Thema „Status“ (das übrigens auch Keith Johnstone schon postuliert hat): Erstrebenswert ist nicht ein bestimmter Status (der Hochstatus), sondern die Fähigkeit, in möglichst vielen und unterschiedlichen zwischenmenschlichen Kontexten souverän und ohne große Mühe (und ohne dass der eine oder der andere Status nur eine aufgesetzte Verhaltensmaske ist) zwischen den Status wechseln zu können.

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Nachtrag April 2018

In einem Workshop in Berlin hatte ich kürzlich die großartige Gelegenheit, Keith Johnstone selbst danach zu fragen (d.h. ob Status nicht bloß der Abwehr – Keith selbst nutzt das Wort „defense“ – dient, sondern auch der Manipulation von anderen). Scheinbar macht Keith hier keinen großen Unterschied zwischen „passiver“ Abwehr und „aktiver“ Manipulation. Außerdem sagte er den schönen Satz „The low status usually wins.“ („Der Tiefstatus gewinnt normalerweise.“), was vielleicht eine erleichternde Botschaft für all diejenigen ist, die der Ansicht sind, dass offen dominantes Verhalten ihnen schwer fiele bzw. die aus anderen Gründen eine Abneigung dagegen haben – oder auch für all diejenigen, die einen inneren „Druck“ verspüren, immer obenauf sein zu müssen und andere zu dominieren, dass es auch mal in Ordnung ist, sich zu entspannen und weniger zu kämpfen (das Charakteristikum des „normalen“ Hochstatus ist es eh, dass er entspannt ist so lange, bis er in seinem Status von anderen angegriffen oder herausgefordert wird – ich erlebe jedoch jeden Tag viele Menschen, die sich offenbar ständig in ihrem Status von anderen angegriffen oder herausgefordert fühlen; möglicherweise ja sogar zu recht).

Ich denke inzwischen, dass „echter Kontakt“ nur jenseits von Status-Verhalten stattfinden kann – oder in solchen Momenten, wo das Status-Verhalten (dass man laut Keith Johnstone ja nicht abschütteln kann, niemals, zu keiner Zeit, da wir alle Tiere sind) einfach keine Rolle mehr spielt, nämlich dann, wenn es eben nicht mehr darum geht, in die Abwehr zu gehen oder andere Menschen zu kontrollieren bzw. manipulieren zu wollen. Keith sagt ja außerdem, dass das Merkmal „echter Freundschaft“ darin besteht, dass man mit dem Status („dominance & submission“) spielerisch umgeht. Alles andere, d.h. Beziehungen, in denen dies nicht der Fall ist, sind lediglich Bekanntschaften („acquaintances“).

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